Wanderlust ist einer der urdeutschen Begriffe, die es unverändert in die englische Sprache geschafft haben – zusammen mit so unaussprechbaren Wörtern wie „Rucksack“, den man ja beim Wandern unbedingt braucht. Nun, der bedeutendste deutsche Beitrag zur Weltkultur war sicher die Romantik im weitesten Sinne, und da wurde gewandert, was das Zeug hielt.
Heute wird ein- und ausgewandert – oft auch ausgewandert, weil man mit der Einwanderung unzufrieden ist. Wanderer kosten – vor allem auch Einwanderer – und das nicht nur Geld, sondern auch Sicherheit, erzeugen Löcher im sozialen Netz und dergleichen. Während für Auswanderer nach Begleichung einer etwaigen „Fluchtsteuer“ Kreditkarte und Rucksack reichen.
Nun gab und gibt es politisch motivierte Auswanderer wie die „Covidioten“, die sich nach Paraguay abgesetzt haben. Was aus denen geworden ist, würde man gerne wissen. Und natürlich die unverbesserlichen Putinisten, die in Sibirien herumackern oder in Nischni Nowgorod eine Bäckerei oder einen Bratwurststand eröffnen – sehr zur Freude der dortigen Eingeborenen. Neuerdings muss man nicht einmal Russisch können, um ins Reich der Rechtgläubigen zu fliehen.
Persönlich warte ich noch darauf, dass die Fregatte „Atlas“ gen Buenos Aires in See sticht, um dort am Silberfluss (Río de la Plata) ein neues Siglo de Oro (Goldenes Zeitalter) einzuläuten. Wer allerdings auf der Kommandobrücke stehen wird, ist strittig – Krall oder Homm, das ist hier die Frage. Auf jeden Fall wird Herr Lüning für das Feuerwasser sorgen. Das wertvolle Schiff „Union“ unter Kommodore Maaßen ist ja schon durch die bei der kaiserlichen Marine einst beliebte Selbstversenkung auf Grund gelaufen – schade eigentlich. Im ungünstigsten Fall bricht der libertäre Zirkel einzeln im Kajak auf – das entspräche doch am besten ihrer individualistischen Grundtendenz.
Scherz beiseite. Bei Destatis erfährt man Näheres:
„Wanderungen im Januar 2025: Rückgang der Nettozuwanderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Nach ersten vorläufigen Ergebnissen gab es im Januar 2025 in Deutschland einen Wanderungsüberschuss von rund 32.000 Personen (Januar 2024: 52.000). Dieser Wanderungsüberschuss ergibt sich aus insgesamt 125.000 Zuzügen und 93.000 Fortzügen über die Grenzen Deutschlands (Januar 2024: 144.000 Zuzüge und 92.000 Fortzüge).“
93.000 im kalten Januar – das ist schon mal eine Ansage und müsste rein mathematisch auf über eine Million pro Jahr hochgerechnet werden, wobei das Aufkommen an einwandernden Fachkräften noch deutlich überwiegt. Also ganz ruhig, Brauner!
Ich würde die Auswanderergruppen, die ja in letzter Zeit über mediale Aufmerksamkeit nicht klagen können und für die es bereits eine dichte Beraterinfrastruktur gibt, grob in drei Gruppen unterteilen:
- Die Rentner – und zwar nicht die allerärmsten: Auswandern kostet halt auch ein bisschen. Aber in gewissen Regionen wie Südtürkei, Thailand, Ungarn und dergleichen scheint das Leben für einen deutschen Rentner immer noch einfacher und kostengünstiger zu sein als hierzulande. Und seien wir ehrlich: Zahlt ein deutscher Rentner Miete und hat kein Vermögen, dann irrt er von Tafel zu Mülleimer, um noch eine Pfandflasche zu finden. Anderswo ist es wärmer und billiger, und die grauhaarigen Expats finden sich schon zu Skatrunden zusammen. Natürlich ist das für den Staat erstmal ein Schaden – die Rente wird nicht hier ausgegeben, und Steuern fallen nicht ins heimische Staatssäckel. Man könnte aber sagen, dass unter Umständen die Sozialkassen von exorbitanten Pflegekosten entlastet werden. Aber ist mal Not am Manne oder an der Frau, findet die oder der schon zurück ins heimische soziale Netz.
- Der typische junge, gut ausgebildete Auswanderer, dem Bürokratie und Abgaben hierzulande auf den Keks gehen. Klassisches Beispiel: Deutscher Jungarzt oder Krankenschwester, die es gen Eidgenossenschaft zieht. Für die Flüchtigen ein eindeutiger Win – für die Schweiz auch. Die Kosten der teuren Expertenaufzucht hat die BRD bezahlt, profitieren tun die anderen. Kann man die Flüchtigen verstehen? Eindeutig ja.
- Die Kapitaleigner, die der hiesigen Schröpfung und Bevormundung – nennen wir’s ruhig Sozialismus – müde sind. Musterbeispiel: Die Firma Miele, die gen Polen, oder Stihl, die fast absurderweise in die Schweiz ausgewandert sind. Dass das Kapital – das scheue Reh – gerne auf die grüneren Wiesen der Nachbarn flieht, zeigen die Erfolge innereuropäischer Steueroasen wie Luxemburg und andere Raubritternester, sowie größere Grünanlagen wie Irland und Holland. Von Singapur, Dubai und derartigen exotischen Destinationen ganz zu schweigen. Jetzt lockt auch noch der Donald mit allerlei Vergünstigungen. Man wird sehen, was daraus wird.
Sei dem wie es wolle: Das Volk hockt virtuell auf gepackten Koffern. Nach einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur könnte sich mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung eine Auswanderung ins Ausland vorstellen. Auf die Frage „Einmal angenommen, Sie wären beruflich, privat und finanziell völlig unabhängig: Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, Deutschland zu verlassen und ins Ausland auszuwandern?“ antworteten 31 Prozent der Befragten mit „auf jeden Fall“ und 27 Prozent mit „wahrscheinlich“.
Auswandern – alle Zelte abbrechen, dem Chef „Du kannst mich mal“ sagen und irgendwo anders ein neues Leben beginnen – davon träumen viele. Und dabei geht es ihnen nicht nur um eine Befreiung von der Schmach des deutschen Winters, sprich: den klimatischen Grausamkeiten der angestammten Heimat. Es geht wohl auch um grundlegendes Unbehagen am eigenen Land.
Besonders hoch ist der Anteil der Auswanderungswilligen unter den AfD-Wählern: Von ihnen würden 55 Prozent „auf jeden Fall“ und 24 Prozent „wahrscheinlich“ auswandern.
Überflüssig zu sagen, dass die Auswanderungswilligen eher zum aktiven, gut ausgebildeten und innovativen Teil der Bevölkerung gehören. Auch die Gründe kennt man – die Umfrageinstitute sind ja nicht faul. Von denjenigen, die sich grundsätzlich oder eventuell vorstellen könnten, ins Ausland auszuwandern, haben 36 Prozent in den vergangenen Monaten verstärkt daran gedacht, Deutschland den Rücken zu kehren.
Diese 36 Prozent begründen ihren Auswanderungsdrang zu 61 Prozent unter anderem mit der Migrationssituation in Deutschland, 41 Prozent nennen die Rezession, 29 Prozent das Erstarken der AfD. Die militärische Bedrohung durch Russland spielt für 22 Prozent eine Rolle, das potenzielle Wegfallen der USA als Schutzmacht Europas infolge von Trumps Präsidentschaft für 12 Prozent.
Jetzt eine kleine Absurdität: Als neue Heimat kommen für die potenziellen Republikflüchtlinge in erster Linie die Schweiz und Österreich (30 und 23 Prozent) infrage, gefolgt von Spanien und Kanada (22 und 17 Prozent).
Die Schweiz und Österreich?
Was sagt uns das? Ich schließe daraus: Die Auswanderer wollen eigentlich ein besseres, in gewissem Sinne konservativeres, „gemütlicheres“ Deutschland. Mehr Geld, wie im Fall der Schweiz, ist kein Hinderungsgrund. Aber Auswandern soll offensichtlich doch im vertrauten Rahmen des eigenen Sprachraums erfolgen.
Wie auch immer: Herr Homm und Herr Krall rufen zu baldiger Flucht auf. Vermögensregister werden erstellt. Wie einst in der DDR soll nun keine physische Mauer die Abwanderung der „Leistungsträger“ verhindern – aber einige behördliche Stolperstricke sind wohl schon zu erwarten. Krall selbst hat sich bereits zu den Eidgenossen gebeamt und orakelt aus dem sicheren „Reduit“. Wenigstens traut er sich, ein paar unliebsame Wahrheiten zu umstrittenen Themen wie der Ukraine auszusprechen. Chapeau, auf jeden Fall.
Und dann bleiben noch die hoffnungslosen, geistigen Nesthocker wie ich selbst – zu alt, zu sehr verhaftet in einer schwindenden deutschen Kultur – und außerdem mit „Rücken und Knie“. Da kommst du auch nicht mehr vom Fleck.