Künstler: Ludwig van Beethoven
Song: Für Elise – veröffentlicht posthum durch Ludwig Nohl, 1867
Im Jahr 2015, während eines Besuchs in einem Souvenirladen in Kanada, hörte ich plötzlich eine Melodie. Sie stammte aus einer kleinen Spieluhr, die ich gerade neugierig aufgeklappt hatte. Kaum erklangen die ersten Töne, war ich wie versteinert. Es war, als würde die Melodie eine längst vergessene Erinnerung wiedererwecken. Ich war fasziniert – ohne zu wissen, woher sie stammte oder wer sie komponiert hatte. Und selbst Jahre später, obwohl ich sie nie bewusst erneut gehört hatte, war sie immer noch in meinem Kopf verankert. Als ich schließlich zufällig erfuhr, dass es sich um „Für Elise“ von Ludwig van Beethoven handelte und mehr darüber las, verstand ich endlich, warum diese Melodie vermutlich so tief in mir resonierte: In ihr lebt wohl jener unbändige Geist, der Beethoven zeitlebens antrieb!
„Für Elise“ von Ludwig van Beethoven ist ein Werk, das sich unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat – nahezu jeder hat es schon einmal gehört. Besonders interessant wird es jedoch, wenn man das Werk nicht nur als ein Musikstück betrachtet, sondern als Symbol einer größeren Geschichte – einer Geschichte der inneren und äußeren Kämpfe, der Freiheit und der Unabhängigkeit. Denn Beethoven war mehr als „nur“ ein genialer Komponist. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht offensichtlich erscheint, war er eine Figur des Widerstands.
Ludwig van Beethoven wurde 1770 in Bonn geboren und verbrachte seine Jugend in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche. Die Koalitionskriege hatten ab 1792 Europa erschüttert und die Französische Revolution hatte alte Strukturen ins Wanken geraten lassen. Die Gegenwart stand auf wackeligen Beinen, die Zukunft war ungewiss.
Beethoven unterstützte die Ideale der Französischen Revolution – persönliche Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit („Liberté, Égalité, Fraternité“). Anfangs bewunderte Beethoven auch Napoleon Bonaparte, da dieser bestehende Autoritäten infrage stellte und schließlich stürzte. Doch als Napoleon sich selbst zum Kaiser krönte, war Beethoven tief enttäuscht – für ihn bedeutete dies den Verrat an den revolutionären Idealen. Aus Protest widerrief er sogar die ursprüngliche Widmung seiner „Eroica“-Symphonie, die er Napoleon gewidmet hatte. Seine Überzeugung für die Ideale der Revolution behielt er jedoch bei.
Doch nicht nur die politischen Umbrüche prägten ihn, sondern auch sein eigenes Schicksal. Schon in jungen Jahren begann er nämlich zunehmend sein Gehör zu verlieren – eine Katastrophe für einen Musiker!
Zudem wurde Musik zu jener Zeit lediglich als Prestigeobjekt der aristokratischen Gesellschaft betrachtet. Musiker waren meist nicht mehr als eine „künstlerische Variante von Hofnarren“, deren Hauptaufgabe es war, die Kreise des Adels zu unterhalten; ihre Tätigkeit war primär auf die Belustigung und das Vergnügen der herrschenden Klasse ausgerichtet. Es ging weniger um die persönliche Entfaltung der Musiker oder die Kunst selbst, sondern vielmehr darum, den Status der Aristokraten zu unterstreichen. Die Idee einer künstlerischen Freiheit oder der Wert der Musik an sich spielten dabei kaum eine Rolle.
Doch statt sich aus all diesen Gründen aufzugeben, sagte Ludwig van Beethoven „dem Leben“ den Kampf an! Der Musiker entwickelte die außergewöhnliche Fähigkeit, Musik in seinem Kopf zu hören, auch nachdem er das physische Hören aufgrund seiner Taubheit nahezu vollständig verloren hatte.
Zudem knüpfte er enge Beziehungen zu wohlhabenden Förderern, die ihm finanzielle Unabhängigkeit verschafften. Diese Unabhängigkeit ermöglichte es ihm schließlich, sich von der Verpflichtung für unterhaltsame Auftragswerke zu befreien und stattdessen seine eigene künstlerische Vision verfolgen zu können – die Vision, seine Werte auch in der Musik zu vertreten.
Besonders in seinen späteren Werken rückten seine Ideale daher zunehmend in den Mittelpunkt. Ein eindrucksvolles, deutliches Beispiel ist die „Neunte Sinfonie“: Obwohl sie größtenteils ein rein instrumentales Werk ist, gipfelt sie in der vierten Bewegung mit dem „Chor der Ode an die Freude“.
Friedrich Schillers Gedicht „Ode an die Freude“, das hier vertont wird, thematisiert Brüderlichkeit, universelle Freude und das Streben nach Freiheit. Allein Beethovens Entscheidung, diese Worte in seine Musik einzubinden, zeigt bereits, dass er die darin enthaltenen Prinzipien bewusst zum Ausdruck bringen wollte.
„Für Elise“ ist für mich ebenfalls ein treffendes Beispiel, auch wenn es sich hier um eine persönliche Interpretation handelt. Der melancholische Beginn des Stücks, der in strahlende Positivität übergeht, dann wieder in Melancholie zurückkehrt und nach einem Moment der Wut schließlich wieder in Melancholie endet, erscheint mir wie ein musikalisches Spiegelbild der turbulenten Zeiten, die Beethoven durchlebte. In jeder Note lässt sich eine leise Sehnsucht nach Freiheit erahnen, die ihm in der äußeren Welt oft verwehrt blieb. Gleichzeitig spiegelt sich in den helleren Passagen des Stücks aber auch Hoffnung wider: Die Möglichkeit, sich selbst sowie festgefahrene Strukturen zu überwinden und zu verändern.
Es ist kaum zu fassen, dass diese Komposition ursprünglich nie für die Öffentlichkeit bestimmt war: Erst 40 Jahre nach Beethovens Tod, im Jahr 1867, entdeckte Ludwig Nohl, ein Beethoven-Forscher und Verleger jener Zeit, der Zugang zu Archiven hatte, in denen Beethovens hinterlassene Werke aufbewahrt wurden, das Stück und veröffentlichte es. Der wahre Hintergrund und die Bedeutung des Titels bleiben wohl für immer ein Rätsel – es gibt keine weiteren Aufzeichnungen oder Äußerungen, die darüber Aufschluss geben könnten.
Was mich an Künstlern wie Beethoven allgemein besonders fasziniert, ist ihr nachhaltiger Einfluss auf die Musikgeschichte. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass Beethoven und seine Zeitgenossen die Grundlage für die moderne Musik legten. Die Musikalität und die komplexen Strukturen der klassischen Musik prägten die Entwicklung der westlichen Musiklandschaft tiefgreifend. Elemente der Klassik – sei es in der Harmonik, der Melodieführung oder dem Arrangement von Musikstücken – finden sich bis heute in verschiedensten Genres wie Pop, Jazz und Rock wieder. Beethovens meisterhafte Kompositionstechniken leben – zwei Jahrhunderte später – in der Musik unserer Zeit fort!
Ludwig van Beethovens Leben und Werk zeigen, dass Freiheit nicht nur im äußeren Widerstand gegen politische und gesellschaftliche Normen erkämpft wird, sondern vor allem im inneren Kampf gegen die eigenen Ängste, Grenzen und Zweifel.