Die Methode Böhmermann

Doxing entpuppt sich zu einem neuen Genre im öffentlichen Rundfunk. Als Böhmermann kürzlich im „ZDF Magazin Royale“ Youtuber mit Klarnamen und Fotos an die Öffentlichkeit zerrte, weil diese Videos machen, die ihm nicht gefallen, passierte etwas, womit die Macher dieses Beitrags nicht gerechnet haben. 

In einer Kooperation der Böhmermann-Redaktion vom ZDF mit dem umstrittenen Outlet „Die Zeit“ forschten die selbsternannten Inquisitoren das private Umfeld von Youtubern aus, um diese in Misskredit bringen zu wollen. Ein Vorgehen, was Parallelelen zu dem Film „Das Leben der anderen“ erkennen lässt. Böhmermann, in seiner Rolle des Obermobbers vom ZDF, führte die Youtuber in seiner Sendung hämisch vor, streute Hinweise auf Klarnamen und über das private Umfeld. Offenbar geht man beim ZDF davon aus, dass Doxing unterhaltsam und spaßig wäre. 

Quote machen mit Doxing

Jedoch trat der Gegeneffekt in Echtzeit während der Ausstrahlung ein. Eine Welle der Solidarität flutete die sozialen Netzwerke. Der schwerpunktmäßig ins Visier genommene Youtuber Clownswelt verdoppelte seine Abonnentenzahlen von rund 220.000 auf mittlerweile mehr als 471.000. Ein Paradebeispiel für den Streisand-Effekt. 

Böhmermann erklärte, dass sein Anliegen, größere Youtuber zu doxen, damit gerechtfertigt wäre, weil etwa 220.000 Abos ein berechtigtes öffentliches Interesse rechtfertigen würden. Da alle betroffenen Youtuber ausnahmslos im rechten, rechtskonservativen und rechtslibertären Lager zuzuordnen sind, scheint das der wahre Stein des Anstoßes zu sein: All diese Influencer vertreten Meinungen, die Böhmermann verachtet, weil sich diese jenseits des SPD-Spektrums bewegen, wie Richard David Precht treffend analysierte.

Man könnte meinen, dass die Verantwortlichen beim ZDF und bei der Zeit zu dem Schluss kämen, dass das Böhmermann-Mobbing nicht den gewünschten Effekt erzielt hat. Statt der Zerstörung des öffentlichen Ansehens der Youtuber, profitieren diese in Form von explodierenden Abozahlen und rekordverdächtigen Aufrufzahlen ihrer Videos. Trotz alledem ist man in den Reihen des öffentlichen Rundfunks der Meinung, dass Doxing ein geeignetes Format in Sachen Unterhaltung wäre und es dieses nachzueifern gilt.

Der SWR macht mit

Ich staunte nicht schlecht, als ich vor einigen Tagen eine Anfrage meines ehemaligen Arbeitgebers SWR erhielt. Man wolle mich zu einem Interview treffen. Eine Journalistin recherchiere zu „rechten Influencern“ und „Hass im Netz“ für das „investigative Format Vollbild“. Mein privater Twitter-Account (zu diesem Zeitpunkt 15.000 Follower) und mein kleiner und somit irrelevanter Youtube-Kanal (zu diesem Zeitpunkt 8.000 Abos) seien Teil der Recherchen. Woher man meine private E-Mail hat, wurde mir nicht mitgeteilt.

Es handelt sich dabei um meine privaten Social-Media-Accounts, die ich mit Kritik am ÖRR bespiele. Ich behandele vor allem die sogenannten „Zufälle“. Damit ist gemeint, dass Interviewpartner im öffentlichen Rundfunk oftmals nicht transparent gekennzeichnet werden. Dies betrifft insbesondere Politiker. Meine Kritik beläuft sich auf beispielsweise Experten in der Klimasendung „Klimazeit“, die sich als Grünen-Politiker entpuppen. Mein Anliegen ist, dass die Zuschauer erkennen können, ob jemand mit Parteibuch spricht, damit das Gesagte richtig von eingeordnet werden kann.

Die Gestaltung meiner Posts und Videos ist betont sachlich, ja, sie kommt fast staubtrocken daher. Dabei bezieht sich meine Kritik nie inhaltlich auf die entsprechenden Statements der Protagonisten. Sie zeigt auf, dass der ÖRR sich an seine eigenen Regeln halten sollte. Und das scheint nicht gut anzukommen bei ARD & ZDF. Man mag es einfach nicht, auf Fehler hingewiesen zu werden. Aus diesem Grund gelte ich als Feind, den es zu markieren gilt. Das Label: rechter Online-Hass.

Inwiefern es „rechts“ sein soll, wenn ich darauf hinweise, dass Politiker bitte als diese gekennzeichnet werden, damit das Publikum weiß, wo es bei der nächsten Wahl sein Kreuz machen soll, bleibt schleierhaft. Denn die Gemengelage ergibt ein anderes Bild. Auffallend viele Politiker mit grünem und rotem Parteibuch werden nicht transparent ausgewiesen. Ausnahmslose Transparenz findet man nur bei einer Partei: der AfD. Es liegt also nahe, einen Nachteil für grüne und rote Politiker auszumachen, wenn deren politisches Engagement deutlich häufiger unterschlagen wird, als beispielsweise bei der Union. Aber auf diese Fragen werde ich vermutlich nie eine Antwort von den Anstalten erhalten. 

Feindmarkierung

Der ÖRR hätte, wie in Social Media üblich, auf meine Posts reagieren können. Die Anstalten hätten erläutern können, warum sie zahlreiche grüne und linke Politiker nicht transparent machen. Doch mein ehemaliger Arbeitgeber hält es offenbar für angemessen, die Accounts einer ehemaligen Mitarbeiterin auszuforschen. Und weil meine Posts den SWR-Spionen nicht gefallen, qualifiziere ich mich für die Methode Böhmermann. 

Nie habe ich mich abwertend über ehemalige Kollegen geäußert, pikante Interna oder gar brisante Anekdoten veröffentlicht. Schlichte Hinweise auf Fehler im Programm und auf mangelnde Transparenz reichen aus, um Kritiker als „rechte Online-Hasser“ zu markieren.

Das Publikum macht nicht mehr mit

Bei der Lektüre der SWR-Anfrage werde ich das Gefühl nicht los, dass man mich einschüchtern will. Das Ziel: Mein Rückzug, die Deaktivierung meiner Accounts, nie wieder soll ein Zufall dokumentiert werden. 

Das unüberhörbare Störgeräusch bei der Methode Böhmermann: Die mit 9 Milliarden Euro aus dem Rundfunkbeitrag ausgestatteten Anstalten picken sich einen irrelevanten, aber unbequemen Youtube-Account heraus und möchten diesen der Inquisition zuführen. Viele Nutzer bewerten das als Niedertracht. Zahlreiche Pressevertreter privater Medien, Blogger und große Youtuber zeigen sich solidarisch mit mir. 

An mir soll ein weiteres Exempel der Methode Böhmermann statuiert werden – doch die Öffentlichkeit macht nicht mit. Im Gegenteil: in den letzten Tagen wuchs dank der Unterstützung großer Accounts meine Reichweite sprunghaft an. Auch ich zähle mehrere Tausend neue Abonnenten mehr, die ich jetzt mit meiner ÖRR-Kritik erreiche. 

Doxing ist kein Content

Das Veröffentlichen sensibler Daten von Personen ohne Einwilligung ist strafbar. Der öffentliche Rundfunk muss dringend Abstand davon nehmen, irgendwelche Youtube-Accounts an den Pranger zu stellen, nur weil diese den Anstalten kritisch auf die Finger schauen. Wenn der ÖRR nicht bereit ist, in den Dialog zu gehen, dann sollte er seine Kritiker höflich, aber respektvoll ignorieren, anstatt diese zu betrafen. Die Methode Böhmermann markiert einen neuen Tiefpunkt und hat mit dem Auftrag der Anstalten nichts mehr zu tun. Der öffentliche Rundfunk in dieser Form muss radikal reformiert, das ZDF zügig abgeschafft werden. 

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