Ein Papst für die Gegenwart

Wir haben einen Leo. Das ist eine Überraschung, eine Erleichterung – und folgerichtig. Keinen anderen Papstnamen braucht die Gegenwart so dringend. Wie bei Leo I. steht der Westen unter Ansturm; wie unter Leo III. braucht es eine Transition zu stabilen, tradierten Werten in neuer Form; wie unter Leo XIII. rückt die Frage nach einer neuen Anthropologie im Angesicht von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz in den Fokus. 

Leo XIII. wollte, dass der Arbeiter seinen gerechten Lohn empfängt, ohne von den Trugbildern des Kommunismus verführt zu werden. Heute stellt sich die Frage, wie es beim möglichen, millionenfachen Jobverlust wegen verbesserter KI weitergeht: Wie viel Wert, wie viel Würde hat Arbeit? Und macht Arbeit allein den Menschen aus?

Allein an diesen Fragen sollte klar werden: Der neue Papst ist nicht lediglich ein Thema für Katholiken. Nicht nur für religiöse Menschen. Der Papst ist keine rein religiöse Figur, er ist auch kein rein moralischer Leitstern. Stalin hat sarkastisch gefragt, nachdem der Papst als möglicher Vermittlungspartner nach dem Zweiten Weltkrieg ins Spiel gebracht wurde: Wie viele Divisionen hat der Papst? Es war aber ein polnischer Papst, der mit seinem Einsatz das Sowjet-Imperium dieses Kremlherrschers nur ein paar Jahrzehnte erheblich ins Wackeln gebracht hat. „Soft power“ kann für manche Staaten richtig „hard“ sein. Leo XIII. hat mit seiner Enzyklika „Rerum Novarum“ mehr in Bewegung gebracht als die Regierungszeit mancher Staatschefs.

Bleiben wir zuerst beim offensichtlichsten Punkt: Dieser Papst ist fromm. Das mag für einige banal klingen. Nach dem letzten Pontifikat hat das jedoch einen ganz anderen Klang. Das beginnt nicht nur bei tiefgreifenden Entscheidungen, die man nicht als reine Symbole unterbewerten sollte: Prevost trägt wieder die formellen Kleider, er kehrt in den Apostolischen Palast zurück, seine Predigten sind klassisch orientiert und wieder deutlich fundierter als Franziskus. Letzterer hatte die Katholizität zurückgestellt, um angeblich niemandem auf den Schlips zu treten – etwa, indem er nicht jemanden gegen dessen Willen segnen wolle.

Fromm, verbindend, geopolitisch klarsichtig

Wie immer sich Leo auch zu den weiterhin brennenden Fragen wie Migrationspolitik und sozialer Frage stellen wird – es geschieht nicht aus Zeitgeistschmeichelei, sondern aus Glaubenslehre. Leo hat in den wenigen Tagen seines Pontifikats bereits deutliche Akzente gesetzt, anders als sein Vorgänger dies jedoch getan, ohne Verwirrung oder Unmut zu stiften. Die Gottmenschlichkeit Jesu wird wieder in den Vordergrund gerückt. Die Heiligkeit von Familie und Ehe. Der marianische Mystizismus. Dieser Mann wird kein NGO-Papst.

In Rom kam ich mit ganz verschiedenen Menschen ins Gespräch. Während die „Bergoglianer“, also die Anhänger des letzten Papstes, in Prevost einen Verwalter franziskanischer Ideen zu erkennen glauben, äußerten sich ebenso Priester der Alten Messe und strenge Gläubige positiv über den gebürtigen US-Amerikaner. Der Prevost-Effekt: Die Gräben sind fort. Beide Seiten glauben in ihm „Ihren“ Papst zu erkennen. Das ist eigentlich ein Widerspruch. Aber bereits in diesem Punkt erfüllt der Pontifex seinen Auftrag: Er baut Brücken. Zwischen Lagern, die noch vor Monaten unversöhnlich waren. Ein Vaticanista erklärte, mit der Wahl von Prevost sei ein gewaltiges Gewicht von ihm abgefallen. Ein Kleriker, er habe nicht mehr mit einem solchen „Labsal“ in seinem Leben gerechnet wie der ersten predigt des neuen Papstes Leo.

Globale Gewichte und neue Frontlinien

Es tut sich also etwas in der „Una Sancta“, die in den letzten Jahren, insbesondere den Corona-Jahren, massiv an Einfluss und Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Dass mit Prevost auf der globalen Bühne zu rechnen ist, hängt nicht zuletzt mit seinem Alter zusammen. Mit 69 Jahren ist dieser Pontifex – anders als Benedikt und Franziskus – kein angedachter Übergangspapst, sondern von Anfang an dazu gewählt, ein Vierteljahrhundert zu prägen. Er wird vielleicht nicht im Inhalt, aber von den Möglichkeiten das sein, was Pius XII. und Johannes Paul II. für das 20. Jahrhundert waren; wie er diese Möglichkeiten nutzt, bleibt nach wenigen Wochen freilich noch völlig offen.

Der Vergleich zu Johannes Paul II. könnte jedoch zumindest in einer Beziehung relevant werden. Während Massenmedien ungehemmt die Behauptung in den Raum stellten, Leo sei als US-Amerikaner als Anti-Trump gewählt worden, hatten sie keine Ahnung, was die Wahl eines US-Amerikaners tatsächlich bedeutete: Es ist ein Anti-China-Signal. 

Noch immer unterhalten Peking und der Vatikan ein Abkommen, das unter Franziskus und Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin eingefädelt wurde. Dieses hat der chinesischen Untergrundkirche einen Bärendienst erwiesen, weil es die Position Pekings legitimiert. Die Volksrepublik ernennt teilweise ohne Absprache mit Rom katholische Bischöfe.

Mehrere Quellen sichern deswegen zu, die asiatischen Kardinäle hätten Prevost mit dem Hintergedanken gewählt, ein US-Amerikaner könnte sich eher gegen den wachsenden politischen Einfluss Chinas in Asien, sowie seine aggressiv-atheistischen Staatsvorstellungen zur Wehr setzen. Parolin und der Filipino Luis Tagle, die in den Medien als Favoriten gefeiert wurden, sollen auch wegen ihrer Nähe zum China-Abkommen und dessen Verteidigung als Kandidaten verloren haben. Prevosts Wahl wäre also auch eine Wahl gegen das kommunistische Regime, ähnlich wie Wojtylas Wahl eine gegen den Sowjetblock war.

Frieden im Inneren, Zugehen auf den Osten

Leo hat den Frieden zu seiner Devise erhoben, doch er dürfte zuerst im österlichen Sinne gemeint sein: innerer Friede. Das ist auf den Glauben und die innerkirchliche Zerstrittenheit bezogen. Prevost hat aber auch in seinem ersten Regina Caeli bereits deutlich gemacht, dass dazu auch der politische Frieden zählt. Er hat mehr denn je die ukrainischen Opfer hervorgehoben, die De-Eskalation zwischen Indien und Pakistan gelobt, sowie die Verfolgung in Myanmar gegeißelt.

Anders als Franziskus bezieht Leo deutlicher Position in der Ukraine. Er hat es bereits vor dem Antritt seines Pontifikats getan, indem er die russische Invasion verurteilte. Aber Leo ist kein Falke. Er hat den Vatikan als Verhandlungsort zwischen Moskau und Kiew angeboten und will sich für eine Friedenslösung starkmachen. Die vatikanische Außenpolitik, die früher eher an einer „neuen Ostpolitik“ orientiert war, wie es viele sozialdemokratische Staaten in den 1970ern taten, geht in eine neue Phase. Man sollte dieses Gewicht bei 1,5 Milliarden Katholiken und einem bereits zerschlagenen Ostblock nicht unterschätzen.

Dass Leo – anders als Franziskus – trotz seiner deutlichen Wortmeldung zur Ukraine bereits mit Putin telefoniert hat, ist da nur ein Signal. Als Augustiner hat Prevost eine besondere Beziehung zur orthodoxen Welt. Das Treffen mit dem Patriarchen von Konstantinopel ist nicht bloßer ökumenischer Austausch. Dem neuen Pontifex liegt der christliche Osten am Herzen. Das gilt für die klassische orthodoxe Welt wie den Nahen Osten. 

Bei einer seiner ersten Ansprachen hatte er den Reichtum der östlichen Liturgie betont – Balsam auf der Seele vieler Anhänger der traditionellen lateinischen Messe, die von Franziskus geächtet wurde, und die darin eine mögliche Lockerung erhoffen. In erster Linie zeigt es aber auch, dass Leo sich deutlicher in dieser Weltregion engagieren wird. Das wäre insbesondere auch für die verfolgten Christen in dieser Region nach dem bitteren Schweigen der vergangenen Jahre eine Neuausrichtung.

Ob Leo XIV. die hohen Erwartungen erfüllen kann, wird sich erst im Laufe der Jahre zeigen. Der Anfang seines Pontifikats hat Signale gesetzt, die weit über den Petersplatz hinausreichen. Die Rückbesinnung auf liturgische Ernsthaftigkeit, die theologische Klarheit seiner Ansprachen, sein diplomatisches Gespür sowie sein Bemühen um eine versöhnende, aber nicht verwässernde Amtsführung lassen vermuten, dass mit ihm eine neue Phase beginnt – nicht nur für die katholische Kirche, sondern für die Rolle des Vatikans in einer zunehmend multipolaren Welt. Leo könnte sich als jener Papst erweisen, der Brücken zwischen Tradition und Zukunft schlägt – und den Gläubigen eine Stimme, dem unsicheren Westen neue Orientierung gibt.

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