Auf dem Plattenspieler: Pixies

Künstler: Pixies

Song: Where Is My Mind – veröffentlicht auf dem Album Surfer Rosa, 4AD 1988

Das System bricht auseinander. Lichter flackern, Gebäude stürzen ein. Sogar digitale Daten verschwinden – das wirtschaftliche Zentrum ist ausgelöscht. Es ist ein brutaler Reset der bestehenden Ordnung. Mitten in diesem Chaos stehen ein Mann und eine Frau, die sich wortlos an der Hand halten und dabei zusehen. Kein Wort, kein Schrei – nur eine stille Übereinkunft mit dem Ende. Dann setzt Musik ein: eine schiefe Gitarrenlinie, ein geisterhafter Chor, und eine verstörend fragile Stimme singt:

With your feet on the air and your head on the ground 

Try this trick and spin it

Your head will collapse, if there’s nothing in it

And you’ll ask yourself

Where is my mind?

Diese Schlussszene des Filmklassikers „Fight Club“ hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Nicht nur, weil sie das packende Ende einer meisterhaft erzählten Geschichte markiert, sondern weil sie uns mit existenziellen Fragen konfrontiert: Was bleibt, wenn das System, das uns geprägt hat, und das Selbstbild, das wir von uns tragen, zusammenbrechen? Wenn Besitz, Namen, Titel und Rollen sich auflösen – was bleibt dann? Wer bin ich, wenn mir niemand mehr vorschreibt, wer ich zu sein habe?

„Fight Club“ macht aus genau diesem Moment ein Manifest. Ein Mann zündet seine Welt an – um zu sehen, was bleibt, wenn das ganze Konstrukt weg ist. Und was bleibt, ist: Freiheit. Freiheit von allem. Nicht Identität, nicht Sicherheit, nur das Bewusstsein: Nichts, was mich definiert hat, ist mehr da. Zum ersten Mal gehöre ich wirklich mir selbst …

Der Song der Pixies ist wie eben dieser Moment: verwirrend klar. Gleichzeitig leicht und doch tonnenschwer. „Where Is My Mind“ schwebt nicht einfach über der Szene, er verankert sie; er intensiviert sie. Die Frage nach dem eigenen Geist, nach der Ordnung im Chaos, hängt über dem Bild wie dichter Rauch.

„Where Is My Mind“ beginnt wie eine Frage aus dem Unterbewusstsein – ein Echo, von Kim Deal eingesungen, das in einer leeren Halle nach sich selbst ruft. Die Stimme von Frontmann Black Francis setzt später ein und schwebt über der schrägen Gitarrenlinie von Joey Santiago wie ein flüchtiger Gedanke, der nicht festgehalten werden kann. Das Schlagzeug von David Lovering drängt sich im Hintergrund auf, wie eine Erkenntnis, die sich langsam nach vorn schiebt. Der Song sticht heraus. Reduziert, beinahe hypnotisch, getragen von einer melancholischen Leere. 

Der Text wirkt fragmentarisch – es sind lose Zeilen; Gedankenfetzen, die mehr ein Gefühl transportieren als eine klare Aussage treffen, geschweige denn großen poetischen Wert haben. Doch genau das ist seine Stärke. Der Track denkt nicht für uns – er lässt Raum. Für Verwirrung, für Zweifel, für ein inneres Stolpern.

Die Pixies wollten nicht gefallen, sondern erschüttern. Ihre Songs waren unberechenbar – mal laut, dann wieder ruhig – und selten so, wie man sie erwartete. 1986 in Boston gegründet, vermischten die vier Musiker Punk, Alternative Rock und Surfermusik, fügten immer wieder bewusst schräge Harmonien in Gesang und Instrumentierung ein und schufen mit diesem einzigartigen Mix eine eigene musikalische Sprache. Das Zerrissene, Absurde, Kindliche und Abgründige existieren nebeneinander in ihren Liedern. 

Obwohl die Pixies in der breiten Öffentlichkeit nicht immer sofort genannt werden, wenn es um popkulturelle Einflüsse geht, hinterließen sie einen nachhaltigen Eindruck auf die Musikszene. Ohne sie wäre Grunge, als Genre, nicht das geworden, was es war. Nirvana, Radiohead, Placebo – sie alle ließen sich von der Band inspirieren und lernten, Lautes und Leises, Wahnsinn und Intimität in einem Werk zu vereinen. Kurt Cobain machte beispielsweise keinen Hehl daraus, dass die Pixies eine große Inspirationsquelle für ihn waren. So sei „Smells Like Teen Spirit“ zum Beispiel sein Versuch gewesen, einen Pixies-Song zu schreiben.

„Where Is My Mind“ wurde 1988 auf „Surfer Rosa“, dem Debütalbum der Pixies, veröffentlicht. Die Idee für das Songkonzept entstand bei Sänger und Texter Black Francis nach einem surrealen Erlebnis während eines Tauchgangs in der Karibik. Unter Wasser, wo die physikalischen Gesetze und das Selbstgefühl eine völlig andere Perspektive bieten, verlor er plötzlich die Orientierung. Es war eine Erfahrung, die ihn zu einer Erkenntnis führte, die sowohl sein persönliches Leben als auch seine berufliche Karriere nachhaltig beeinflusste: Was passiert, wenn oben und unten sich verkehren, wenn die Welt Kopf steht – äußerlich, aber auch innerlich?

„Fight Club“, die Roman-Verfilmung von David Fincher aus dem Jahr 1999, mit dem großartigen Edward Norton und Megastar Brad Pitt in den Hauptrollen, ist ebenfalls die Erzählung über einen Zerfall. Es geht um die Zersetzung einer Identität, die auf Unbewusstheit, Konsum und Konformität gebaut wurde. Der namenlose Protagonist, ein Büroarbeiter mit Schlafstörungen, der sein Leben nach vorgefertigten Mustern lebt – so, wie es das System für ihn bestimmt hat – verliert sich zunehmend in einer gespaltenen Persönlichkeit. Denn in dieser, in Tyler Durden, findet er sein radikales Gegenbild: wild, kompromisslos, radikal, rebellisch. Aus dieser inneren Spannung entsteht eine Dynamik, die zunächst befreiend wirkt. Zwei Gegensätze treiben ein – mehr oder weniger gemeinsames – Spiel gegen die Zwänge der Gesellschaft. Doch je radikaler der Befreiungsdrang wird, desto mehr gerät er außer Kontrolle. Was mit persönlichem Aufbruch beginnt, wird zur Bewegung – und bald zur Gefahr für ein ganzes System.

Klarheit beginnt oft nicht mit einem Gedanken, sondern mit einer Erschütterung. Eine Erschütterung, die das Alter Ego Tyler Durden dem Protagonisten aufzwingt. Wer jemals an einem tiefen Wendepunkt in seinem Leben stand, kennt das Gefühl, wenn plötzlich alles, woran man geglaubt hat, zusammenbricht. Wenn nichts mehr hält. Doch genau in diesem Moment, wenn alles zu zerfallen scheint, wird plötzlich alles möglich!

Wer sich nicht selbst durchdrungen hat, wird im ersten Sturm fallen. Aber wer bereit ist, sich zu verlieren – wirklich zu VERLIEREN –, kann sich auch neu erschaffen. Mit Bewusstsein. Mit Haltung. Mit Blick auf das, was für ihn zählt.

Ich finde es unglaublich wertvoll, dass auch dieser Aspekt in „Fight Club“ eine Rolle spielt. Man wird geboren, erhält einen Namen, und je nach Herkunft fügen sich immer mehr Regeln, Erwartungen und Rollen dazu. „Das gehört sich so“. Zunächst ist man ein Kind, dann ein Schüler, später vielleicht ein Bankkaufmann. Man wird 12, 26, 40 Jahre alt. Man ist blond, man ist braun. Man hat eine bestimmte Identität, die einem zugeschrieben wird. 

Diese ständige Benennung und Einordnung nimmt nicht nur den Zauber des Lebens, sondern lässt das Ego wachsen und sich immer weiter aufblasen. Doch der wahre Wert im Leben liegt darin, sich immer weniger über solche Zuschreibungen zu definieren. Denn genau dieses ständige „Benennen“ zerstört den Zauber und damit den inneren Frieden. Der Protagonist von „Fight Club“ geht diesen Weg der radikalen Ablehnung – doch statt wie dieser alles zu zerstören, sollten wir uns bewusst machen, dass wir die Freiheit haben, selbst zu wählen, wer wir sein wollen, wo und warum wir uns einfügen – und das ganz ohne die Last der vorgegebenen Rollen.

Und dann wird die Frage „Where Is My Mind“ nicht als Zugeständnis von Schwäche verstanden, sondern als Beginn von Stärke. Als Einladung, sich selbst wirklich zu begegnen – und nicht mehr wegzulaufen.

Bildschirme flackern, Glas zerspringt. Gebäude stürzen ein wie Erinnerungen, die zu lange getragen wurden. Und da stehen sie – er, blutend und befreit, sie, still und ahnungsvoll. Ihre Hände finden sich im Chaos. Die Welt geht unter. Keine große Geste, kein Pathos. Nur ein Lied. Und plötzlich ist da etwas in der Luft, das sich wie Wahrheit anfühlt.

Am Ende von „Fight Club“ bleibt nicht viel – aber alles, was nötig ist. „Where is my mind“ wird eine Frage, die keine Antwort möchte. Aber vielleicht reicht es, dass die Frage gestellt wird …

Hören Sie hier auf Youtube „Where Is My Mind“ von den Pixies.

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Der nächste Gang …

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