Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.
Nach Thomas Hobbes gibt es kein Widerstandsrecht gegen den übergriffigen Leviathan, die Staatsgewalt. Richtig? Falsch! Nach Hobbes gibt es eine Widerstandspflicht, wenn die Staatsgewalt Leben und Eigentum eines Bürgers bedroht statt schützt.
Nach Jean-Jacques Rousseau ist jeder Bürger durch einen fiktiven Gesellschaftsvertrag seiner Vorfahren zur Unterwerfung unter die Staatsgewalt verpflichtet. Richtig? Falsch! Nach Rousseau bindet der Gesellschaftsvertrag nur den, der ihm ausdrücklich zugestimmt hat.
Die herrschende Lehre (die Lehre der Herrschenden) gaukelt uns vor, die vergangenen und gegenwärtigen Philosophen hätten die Staatsgewalt zwar unterschiedlich definiert und begründet, aber natürlich immer abgesegnet. Das ist falsch. Selbst wenn sie die Staatsgewalt in den höchsten Tönen zu lobpreisen gedachten wie G.W.F. Hegel, ist es ihnen niemals gelungen, eine Institution als rechtmäßig darzustellen, die ohne Zustimmung der Betroffenen ein territoriales Gewaltmonopol beansprucht. Und als Zustimmung kann nicht eine demokratische Wahl nach dem Mehrheitsprinzip gelten.
Nach Thomas von Aquin ist der Mensch verpflichtet, sich der Staatsgewalt zu unterwerfen, weil sie von Gott eingesetzt worden ist. Richtig? Falsch! Nach Thomas von Aquin hat der Tyrann, der gegen Gottes Gebot verstößt und die Menschen knechtet, nicht nur im Jenseits die schlimmsten Höllenqualen zu erwarten, sondern auch dem irdischen Widerstand zum Opfer zu fallen.
Es ist erstaunlich, was ein genaues Lesen der Vordenker der Menschheit zu Tage fördert, wenn man nicht davon ausgeht, Herrschaft sei sowieso selbstverständlich notwendig und fraglos gerechtfertigt, es ginge nur noch um die Frage, wie sie eingerichtet werde. Mich erstaunt es seit langem, zu beobachten, wie sehr die Philosophen gedanklich ins Schwimmen geraten, wenn sie über die Grundlagen des Rechts und des Staats nachdenken. Die Hegemonie, die das etatistische Denken heute politisch und kulturell ausübt, ist auf Sand gebaut.
Und wie ist es mit den Helden des linken Etatismus, die heute noch gefeiert werden, haben nicht die gezeigt, dass wir die Staatsgewalt brauchen, um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit unter den Menschen zu etablieren? Falsch! Von seinen Gegnern wird dem Kulturmarxismus unter anderem die Absicht unterstellt, die Familie und das bürgerliche Leben zersetzen zu wollen. Zitat Theodor W. Adorno. «Die heraufziehende kollektivistische Ordnung ist der Hohn auf die ohne Klasse. Im Bürger liquidiert sie zugleich die Utopie, die einmal von der Liebe der Mutter zehrte.»
Bemerkenswert ist hier, dass der Bürger und die Liebe der Mutter für die Utopie stehen. In seinem wohl berühmtesten Essay mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Titel «Erziehung nach Auschwitz» von 1966 bekräftigt Adorno, dass es kein über der Familie stehendes Recht des Kollektivs, des Staats gebe: «Indem man das Recht des Staates über das seiner Angehörigen stellt, ist das Grauen potentiell schon gesetzt.»
Und nun zu Herbert Marcuse. Seinen einflussreichsten Essay mit dem Titel «Repressive Toleranz» heute zu lesen, ist ein Erlebnis besonderer Art. Über weite Strecken liest er sich, als sei er neulich geschrieben von einem Kritiker der politischen Korrektheit. «Wenn Toleranz in erster Linie dem Schutz und der Erhaltung einer repressiven Gesellschaft dient, wenn sie dazu herhält, die Opposition zu neutralisieren, dann ist Toleranz pervertiert worden.»
Durch Medien, Schule, Politik und Gesetzgebung werde eine Sprache und ein Denken geformt, welches die Mehrheit der Bevölkerung dahin bringt, die «Demokratie mit totalitärer Organisation» zu tolerieren und Abweichlern gegenüber intolerant zu sein.
«Hegemonie», «Opiat des Kollektivismus» und «repressive Toleranz» sind analytische Instrumente, die heute wichtiger denn je sind, um die Fähigkeit des Staats zu verstehen, sich durchzusetzen und zu stabilisieren. Der Etatismus siegt einerseits durch seine schiere Macht, gewissen Personengruppen mit Staatsgewalt Vorteile zu verschaffen, andererseits kann er nicht existieren ohne dass die Menschen seine denkerische Grundlage fraglos akzeptieren. Wenn sie beginnen, diese denkerische Grundlage zu hinterfragen, beginnt das Gebäude der Staatsgewalt zu wackeln.
Die Meisterdenker «gegen den Strich zu lesen» ist für mich konstruktiver Widerstand.
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2 Kommentare. Leave new
Zusammenfassend sagt es Mephisto so:
„Vom Rechte, das mit uns geboren ist –
Von dem ist leider! nie die Frage“
Richtig, eine übergriffige, pflichtvergessene Staatsgewalt, die sich autoritär über ihre Bürger erhebt, kann man leicht mithilfe der großen Denker widerlegen. Allerdings sollte man sich davor hüten, ins gegenteilige Extrem zu verfallen. Es ist nicht so, dass die großen Denker dem Staat jede zwingende Autorität abgesprochen hätten. Ich finde hier die Formel von Abraham Lincoln sehr hilfreich und griffig: „government of the people, by the people, for the people“.