Tückische Objekte und der Kampf gegen den Hass

Alternativ: Hören Sie diesen Beitrag als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.

 

Abergläubische sehen – an besonders beleumdeten Tagen wie Freitag, dem 13. zumal – Teufel, Hexen, Dämonen am Werk, wenn sie trotz aller Vorsicht doch das Kabel des Rasenmähers überfahren und kappen, der Computer einfach nicht tut, was er soll, überhaupt technisches Gerät ohne Ursache und Anlass streikt. Aufgeklärtere erkennen hier die Funktionsweise des Kapitalismus. Unterm Stichwort „geplante Obsoleszenz“ ist das in der Wikipedia ausgiebig erläutert, aber es mindert nicht den Ärger, zumal auch noch Murphys Gesetz vorsieht, dass Defekte, Abstürze, Verschleiß sich mit schlimmstmöglichen Verläufen paaren – obendrein stets zur Unzeit.

Erstaunlich wenige nur nehmen die kleinen Boshaftigkeiten des Alltags gelassen, gar mit Humor und als Ergebnis eigenen unzulänglichen Handelns – obwohl Fehler jedem Menschen unvermeidlich passieren. Immer wieder habe ich nicht nur selbst erfahren, dass große Katastrophen weniger emotional aufrühren als diese kleinen, teuflischen Störungen „im Detail”. 

Beethovens Biograph scheint davon zur Namensgebung für ein berühmtes Rondo – „Wut über den verlorenen Groschen” – inspiriert worden zu sein, auch bei E.T.A. Hoffmann gespenstern an sich harmlose Sachen plötzlich koboldhaft, und nicht selten mündet der Zorn über versagende, widerspenstige Dinge in Attacken, gar Zerstörung. Wer kennt nicht das Video vom User, der im Großraumbüro seine Tastatur am Monitor zerschmettert.

Rache ist süß

Der angerichtete Schaden ist nicht selten schlimmer als der Anlass des Ärgers, jede besonnene Reaktion wäre sinnvoller. Vom Schriftsteller und Philosophen Friedrich Theodor von Vischer stammt der Ausdruck „Tücke des Objekts“, und er beschrieb auch, dass Rache an demselben durchaus süß sein kann – bis zum Blick auf die Kosten. In seinem 1879 erschienenen, bis weit ins 20. Jahrhundert erfolgreichen Roman „Auch Einer“ beschreibt er wahre Orgien der Zerstörung. Seine Hauptfigur, ein vermögender Sonderling, für den zunächst nur die Initialen A. E. stehen, kauft eine ganze Wirtshauseinrichtung, nur um sie, gemeinsam mit dem Ich-Erzähler, zum Gaudium der Nachbarn in einem Schweizer Bergdorf buchstäblich hinzurichten. 

Was löst solche Rachegefühle aus? Mit einem Schlag erlebt einer, dass nicht er Dinge beherrscht, sondern Dinge ihn, und diese Ohnmachtserfahrung ist besonders drastisch, wenn das gewohnheitsmäßig leicht Beherrschte sie ihm antut. Die stoische Reaktion auf Brände, Erdbeben, Übergriffe Mächtiger scheint vielen Menschen ebenso eigen, wie berserkerhafte auf manch kleines Missgeschick.

Lohn der Angst 

Mir erging es so, dass auf wirklich harte Schicksalsschläge eine blitzartige Konzentration aufs Wesentliche folgte. Es mag daran liegen, dass meine Phantasie sich oft mit schlimmstmöglichen Verläufen befasst, denn deren gab’s etliche in den Jahren meines irdischen Daseins. Gegenüber Panikmache bin ich andererseits unempfindlich, weil darin erfahren, wie leicht Macht auszuüben ist, wenn sie – vor allem Abhängige – permanent geistig in Schreckensszenarien gefangen hält. Kinder, die das erdulden, sind in ihrer Entwicklung oft gehandicapt, andere entwickeln besondere Kräfte, sich zu befreien und selbständig zu werden. 

Unterm Druck der Indoktrination in Schulen, Hochschulen, Medien des SED-Staates habe ich gelernt, stets das Ziel einer Botschaft zu erfragen, also was sie bewirken soll. Die Gefahr eines Dritten Weltkrieges, womöglich eines atomaren, ging ja immer mit dem Feindbild vom westlichen Imperialismus einher, das in allen düsteren Farben der Vernichtung koloriert wurde. Den Sowjetimperialismus gab es nicht. Und so funktioniert Manipulation immer noch: Die Welt zerfällt in „wir“ – die Guten – und „die anderen”, deren Furcht erregende Absichten ausführlich und mit allen verfügbaren negativen Attributen versehen werden: „Tyrannen“, „Sozialschädlinge“, „Bekloppte“, „Schwurbler“, „Leugner“ …: Wer erinnert sich nicht an die „Coronajahre“? Den Braven winkten Bratwurst, Bier und Geselligkeit, ihnen ward vom gütigen Staat die Wiederkehr ihres Anspruchs auf liebe Gewohnheiten versprochen.

Dominanz als Grundimpuls

Die Ziele von Leuten, die Bedrohliches ankündigen, sind selten von Altruismus bestimmt, meistens von der Absicht, andere zu beeinflussen, zu steuern, auszunutzen.  Zu warnen und zu mahnen kann eine höchst respektable Rolle in jedem sozialen Organismus sein – wie Schmerz im Nervensystem. Falscher Alarm deutet hingegen auf dessen Dysfunktionalität.

Ein Lieblingsinstrument von Dominanz ist die abstrakte Drohung mit einer Gefahr, für die nicht verantwortlich ist, der sie beschwört – etwa Krankheitserreger, gefährliche Tierarten, Naturkatastrophen, „das Kapital“, Aliens, geheimnisvolle Erdstrahlen … 

Funktioniert es, merkt der Empfänger der Botschaft nicht, dass er manipuliert wird. Solange liebe Gewohnheiten nicht tangiert sind, passt er sich an. Noch im Mai 1989 wählten über 90 Prozent der DDR-Bürger SED & Co. Geht’s schief, kann sich der Panikmacher darauf herausreden, er habe nur im Interesse der Sicherheit und des Schutzes der Bedrohten die Sirene heulen (oder Mauern, Stacheldraht, Schießbefehl, Sprengminen, Zensur und Gesinnungsprüfungen installieren) lassen. 

Stünden einschlägige Manipulationen so unter Strafe wie der Missbrauch von Alarmsystemen, wären nach der Corona“-Pandemie“ etliche Amts- und Würdenträger in Schimpf und Schande davongejagt, gar inhaftiert worden, einige auf zahlende Kundschaft angewiesene Pharma- und Medienunternehmen pleite. Die mit Zwangsbeiträgen finanzierten machen – wie die verantwortlichen Politiker – weiter, als wäre nichts gewesen. Wie ist das möglich?

Die Scham der Verlierer

„Mundus vult decipi“ – die Welt will betrogen sein – ist ein altrömisches Sprichwort; und wenn das betrügerische Versprechen eines Gewinns, sei’s ein materieller oder informeller, gut verpackt ist, dann findet sich eine hinreichend große Zahl von Menschen, die ihm folgen. Das ist eines der profitabelsten Geschäftsfelder globaler Werbewirtschaft und des politischen PR-Betriebs. Milliarden werden heute mit dem verdient, was einst Marktschreier, später Propaganda hieß und Menschen weltweit und jederzeit zu teuren Anschaffungen anspornt oder bei Wahlen einen persönlichen Vorteil suggeriert. 

Wenn sie sich als Betrogene erleben, dann ärgert sie das, aber sie schämen sich auch. Manchmal so sehr, dass sie den Betrug verschweigen, nicht davon reden mögen, froh sind, die Niederlage vergessen zu können. Sie seien frustriert, sagt man, sie haben eigenes Versagen und Ohnmacht erlebt. Schlimm genug. Aber dann streikt auch noch der Drucker. Oder die Schublade klemmt, oder … Manchmal treffen Enttäuschung und Wut auf so ein ungehorsames Ding – dann wird es beschimpft und bepöbelt, als habe es  bewusst gehandelt. Kommt es zu Gewalt, verliert meistens das Objekt. 

Die Frage liegt nahe, ob der von wohlmeinenden Mitgliedern der Regierung und ihnen nahestehenden Medien gewünschte Kampf gegen „Hate Speech“ nicht auf dieses Phänomen ausgedehnt werden müsste. Industrie und Handel hätten gewiss ein Interesse daran, wenn insbesondere Markenartikel davor geschützt würden, von erbosten Kunden mit Unflat bedacht zu werden. Zu schweigen von den „Qualitätsmedien“. Nicht nur Hassausbrüche gegen höher gestellte Personen, sondern auch solche gegen Erzeugnisse aus ihrem Verantwortungsbereich müssten strafbewehrt sein. Ein staatlich als „Impfstoff“ legitimiertes mRNA-Medikament ohne eigentlich vorgeschriebene Prüfung etwa sollte nicht einmal durch Fachleute „delegitimiert“ werden dürfen. So wenig wie die Regierung selbst. 

Zukunft ohne Hass

Hassrede wird per Strafgesetz verboten. Vermutlich bereiten Experten im Auftrag der Behörden längst Umfragen dazu vor, arbeiten „Wissenschaftler“ an Szenarien fürs hassfreie Paradies des Eiapopeia.

Wie das ausgehen kann, zeigte eine saukomische Filmkomödie aus den USA. Sie wird demnächst 30 Jahre alt, stammt also noch aus der Zeit, als Helmut Kohl sich über die Zukunft Deutschlands als „Kollektiver Freizeitpark” amüsierte. Silvester Stallone, Wesley Snipes und Sandra Bullock agieren in einem solchen, dem ehemaligen Los Angeles anno 2032, streng beaufsichtigt von Automaten, die jedes unflätige Wort mit einer sofortigen Geldstrafe sühnen. In China ist dieser Zustand dank „Social Score” greifbar nahe. 

Die Entwickler von „ChatGPT” und anderen künstlichen Intelligenzen werden vielleicht den Einsatz menschlicher Denunzianten begrenzen, heute schon erkennen sie sicherer und schneller Muster – etwa Captchas, mit denen eigentlich Bots aus den Kommentarspalten von Online-Medien fern gehalten werden sollten. Meldestellen wird’s trotzdem geben, schon um die Melder:*_Innen zu schützen; es ist auch noch viel Luft nach oben am Arbeitsmarkt für Rollkommandos und Justiz gegen Unbotmäßige. 

Im Film scheitern die Betterplace-Totalitären mit Donnerhall an der eigenen Doppelmoral und Korruption; das macht einen Heidenspaß, ist immer noch sehenswert, schon wegen der Hoffnung aufs Ende der Eiapopeia-Lügen und ihrer realsozialistischen Wiederkehr. Zu verschweigen, zu beschönigen, Konflikte zu übertünchen und die Wahrnehmung medial zu verstellen, bleibt leider vorerst ein ebenso gewinnbringendes Geschäft wie fast jeder andere Betrug – „Mundus vult decipi” – und verkauft sich unter dem Begriff „Framing” wie Snacks und Speiseeis am Pausenhof.

Die Kunst zu framen

Sind Subalterne, Schüler zum Beispiel, nicht an sinnvolle Ziele – vor allem selbstbestimmtes Arbeiten – gebunden, framen autoritäre Figuren gern Probleme im Neusprech zu „Herausforderungen“, um sie zu beschäftigen und auf Trab zu halten. 

In der Schule wurde auf diese Weise früher „stillbeschäftigt“, um eine Klasse bei Unterrichtsausfall am Toben zu hindern. Für die Abwesenheit des Lehrers wurde ein Aufsichtsschüler benannt. Nur die Gewitzteren erfanden Tricks, dem Denunziantentraining auszuweichen. Eigenes Nachdenken war bei „Stillbeschäftigung“ fast immer unnötig, wenn nicht unerwünscht. Anders, wenn die Lehrkraft mit einer bevorstehenden Klassenarbeit oder Prüfung argumentierte, einer Herausforderung.

Das lohnende Ziel spornte – wie die vor seiner Nase baumelnde Möhre den Esel – uns Schüler zu vermehrter Anstrengung an. Man nennt so etwas „extrinsische“ Motivation. Statt aus eigenem Antrieb – „intrinsisch“ zugunsten eigenen Lernens und Zugewinns an Qualifikation – handeln die „Stillbeschäftigten” aus Furcht vor schlechten Noten oder Punktverlust.

Nein, über die Fehlsteuerungen im Bildungswesen werde ich mich nicht weiter auslassen; im Sandwirt hat Stefan Fourier dazu einiges gesagt. Da ist wenig Hoffnung auf Besserung, zumal auch extrinsische Anreize sich erübrigen: Der Esel erlangt die Möhre leistungslos – er ist anspruchsberechtigt. Deutschland dagegen erhebt schon lange nicht mehr den Anspruch „Land der Dichter und Denker” zu sein (ob es das jemals war?), seine Anziehungskraft weit über die Grenzen hinaus beruht auf dem Pull-Effekt leistungsloser Alimentierung.

Die unsichtbare Tücke

Was – fragen Sie nicht ganz zu Unrecht – hat das mit der „Tücke des Objekts“ zu tun? 

Wer alles daransetzt, sich mit technischen Mitteln (Objekten) gegen jedes Risiko, jeden Fehler, jedes Versagen und Scheitern zu feien, hat viel zu planen, noch mehr zu tun. Leider – das weiß der Lebenserfahrene – passiert andauernd irgendwas Ungeplantes. Das muss nicht die materielle Basis einer Firma, Regierung oder eines Mediums, kann aber das Vertrauen von Kunden, Wählern oder Publikum erschüttern. Wer also verhindern will, dass seine Fehler offenbar werden, hat noch mehr zu tun, viel mehr. Sein Personalbestand an Regulierern, Kontrolleuren, Propagandisten mit ausgeprägter Fähigkeit zum Framen – also gefälliger Darstellung von allem, was missfallen könnte – wächst stetig, die zugehörigen Objekte vermehren sich, während sich immer neue, anfangs lächerlich kleine tückische Dinge querstellen. Sie werden unterschätzt wie die gewohnheitsmäßigen Auftritte gefälliger Parteigänger beim öffentlichen Treff mit Politikern, in Talkrunden, als Passanten bei Straßenumfragen … 

Hier nun erkennt der Freund des „Potsdam Instituts für Klimaforschung“ die zunehmende Wahrscheinlichkeit eines „Kipp-Punktes“, der Dialektiker ein Umschlagen von Quantität in Qualität, der Skeptiker sieht es als sinnlos an, gewohnte Strategien einfach – möglichst forciert – fortzusetzen, bis erwünschte Ordnung ins Chaos stürzt. 

Wer derweil ohnmächtig erlebt, wie jahrzehntelang halbwegs funktionierende Dinge – Währung, Steuern und Sozialabgaben, Dienstleistungen aus dem Ruder laufen, Medien immer nachlässiger und unglaubwürdiger werden, bekommt die Wut. Wenn die Zukunft verstopft von unsinnigen Plänen und organisierter Verantwortungslosigkeit, alle Auswege verstellt scheinen, reagiert er womöglich schon auf eine kleine Störung der persönlichen Routinen und Rituale unbeherrscht – und verschlimmernd. 

Finden Sie das übertrieben? Dann warten Sie einfach die nächste Überraschung durch Kaffeemaschine, Staubsauger, Smartphone, oder in der Bahn, im Straßenverkehr, Wartezimmer, Supermarkt ab. Es könnte Ihnen „Auch Einer“ begegnen – vielleicht sind Sie es selbst. 

Beitrag hören:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.

Inhalt laden

Beitrag teilen …

Der nächste Gang …

Windkraft und Dürre

Mixmasta B.Side Blog

Auf dem Plattenspieler: Public Enemy

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fill out this field
Fill out this field
Bitte geben Sie eine gültige E-Mail-Adresse ein.
You need to agree with the terms to proceed