Wie Gefühle bewirtschaftet werden

Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.

Der menschliche Kosmos #16

„Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren.“ Der Befund des namhaften Psychotherapeuten Paul Watzlawick wurde zum geflügelten Wort. In der heutigen Folge von „Der menschliche Kosmos“ geht es wieder um nonverbale Kommunikation und das „leibliche Gedächtnis“ mit seiner besonderen Beziehung dazu. Sie ist kaum zu hintergehen, aber digitale Bildermedien öffnen der Manipulation viele Wege, namentlich durch Künstliche Intelligenz (KI). Dass sie damit auch zur Waffe im Krieg der Informationen wird, ist gewiss. „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“ meinte Albert Einstein. Messer und der erfolgreichste „Menschenlocher“ aller Zeiten könnten auch dazu gehören. Gewalt – Macht – Lust: selbst Müll taugt zur Waffe.

Wie Gefühle bewirtschaftet werden

Deutsche Unternehmen geben seit Jahren viel Geld aus, um Mitarbeiter im freundlichen Umgang mit Kunden zu schulen. Je höher die Gewinnerwartung, desto teurer die Trainer. Ziel: Aufgeschlossenheit gegenüber den Wünschen – oder der Verärgerung – des Kunden signalisieren, Gespräche so führen, dass sie Interessen beider Seiten einbeziehen und auf ein befriedigendes Ergebnis zulaufen. Schließlich sollen sie beim Kunden das Gefühl  hinterlassen, einen vertrauenswürdigen  Partner gefunden zu haben. In diesem Sinne verbreitete die Telekom für das Training von Mitarbeitern in ihren Call-Centern vor 30 Jahren den Slogan „Unser Lächeln kann man hören“.

Wer weltweit kaufen und verkaufen will, hat allen Grund, Kommunikationskatastrophen zu vermeiden. Und er steckt in einem Dilemma: Er soll mit dem begrenzten Instrumentarium des Bewusstseins ein komplexes, sehr tief in Strukturen unseres Gehirns und damit natürlich im ganzen Körper wurzelndes, unbewusst waltendes Geschehen von existentieller Wichtigkeit beeinflussen: nonverbale Signale. 

Es reicht für ein Lächeln nicht, die Mundwinkel zu heben. Das bloße Lächeln-Wollen verunglückt allzu oft. Vielleicht haben Sie anderereits – so wie ich bei den Balinesen –  Menschen kennengelernt,  die von der Natur mit einem besonders gewinnenden Lächeln beschenkt wurden. Sie müssen sich nicht vornehmen, ihr Gegenüber freundlich zu stimmen, egal ob es sich um potentielle Kunden, Kollegen oder Autoritäten handelt. Sofort bei der Kontaktaufnahme läuft im Miteinander von Sinnen, Nerven, Muskeln und – wer weiß –  göttlicher Inspiration, blitzartig ab, was positiven Eindruck erwecken soll. Das ist keine Kleinigkeit. Dahinter stecken einige Jahrmillionen Entwicklung und – im Falle der Balinesischen Paradieswarenhändler – ein Training innerhalb von Familienbindungen, Religion und aufs engste mit beiden verknüpften Umgangsformen.

Nettigkeit – von oben verordnet?

Wer auf Bali und in ähnlichen Kulturen bewusst beobachtet, muss vermuten, dass Argwohn und Misstrauen in den Beziehungen viel weniger ausgeprägt sind als hierzulande. Wenn es sie im gleichen Maße geben sollte, dann hätte sich zumindest eine nonverbale Kommunikation ausgebildet, die dem friedlichen Zusammenleben überaus dienlich ist, sogar dem Zusammenleben mit vorübergehend oder dauernd anwesenden Ausländern. 

Als ich vor einem Vierteljahrhundert die Insel besuchte, begegnete mir keine Ausländerfeindlichkeit. Vielleicht haben etliche Millionen Touristen und andere „Gäste“ das geändert. Gerade sah ich einen Reportage darüber, wie sich Balinesen inzwischen lautstark und aggressiv gegen breitspurig und respektlos auftretende Russen zu wehren beginnen, von denen viele ihre Vermögen wegen des Krieges in der Ukraine hier anlegen wollen. Sie brechen geltende Regeln, weil sie gewohnt sind, mit Geld alles dominieren zu können. Denn das ist eine der Errungenschaften der globalisierten Herrschaft des Geldes: die individuelle Freiheit zum schlechten Benehmen. Der materiell gegen alle Risiken und Konflikte Abgesicherte, möglichst vom Staat Protegierte, schuldet niemandem Freundlichkeit und Fairness, er darf so bleiben wie er ist.

Deutsche sind kaum mehr oder weniger ausländerfeindlich als andere Völker. Fast alle haben nämlich ein ernsthafteres Problem: „Anspruchsberechtigung“ – also Teilhabe an korporativer Macht oder religiösen Verheißungen – fördert eine Kultur von Gier, Neid, Argwohn, Misstrauen, Missgunst, Feigheit und Heimtücke, eine Kultur der Schadenfreude und des schamlosen Zeigefingers, der auf immer neue Sündenböcke deutet. Bei Deutschen, Russen, Japanern, Chinesen ist es historisch besonders grausig belegt, aber das 21. Jahrhundert führt eifrige Nachfolger herauf. Sie verhehlen nicht, was sie mit „den anderen“ vorhaben. Allgegenwärtig zeigt sich die jeden gewalttätigen Übergriff antizipierende Propaganda in den informellen Netzen. 

Derweil  darf jeder jeden – etwa in den „Social Media“ – persönlich angreifen, gar unflätig  beleidigen. Dagegen können sich Angegriffene juristisch wehren, das ist bei ungewissem Ausgang teuer, langwierig, und fällt selten auf den Beleidiger zurück. Ein mit Schmähsäure verätztes Renommee ist schwer zu heilen. „Aliquid haeret“, etwas bleibt immer  haften. Das mit Moralin imprägnierte Ego mancher „Volksvertreter“ reagiert hierauf besonders empfindlich; Tausende Anzeigen beschäftigen die Justiz – auf Kosten der Steuerzahler. Gleichwohl bleibt das Volk halt „der große Lümmel“, wie zu Heinrich Heines Zeit in den Gassen von Paris, heute obendrein auf digitalen Autobahnen.

Die Politbürokratie wappnete sich mit einem „NetzDG“, einem „Netzwerk-Durchsetzungs-Gesetz“, das private Betreiber von Plattformen wie „X“, vormals „Twitter“, „Facebook“, „YouTube“, „TikTok“, „Telegram“… zu vollziehen haben. Verschärfen wird es die EU mit einem „Digital Services Act“.  Elon Musk mag den Mut und die Mittel haben, sich mit den Eurokraten anzulegen; andere Anbieter reagieren – um Strafen zu entgehen – mit übermäßigem Blockieren regierungskritischer Benutzer. Gegen mit Heeren von Anwälten armierte Konzerne juristisch vorzugehen, falls Blockaden gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen, ist ein kostspieliges Abenteuer. Wenige Betroffene können es wagen. Derweil vermehren sich staatlich finanzierte „zivilgesellschaftliche“ Kampfgruppen „gegen Rechts“, die sich vom eifrigen Denunzieren Gewinn versprechen. „Meldestellen“ werden eingerichtet. Gegenseitiges Misstrauen wird Normalität.

In den letzten Jahren der DDR wurde das sozialistische Gleichheitsideal auf die Formel gebracht: „Wenn jeder jeden bescheißt, kommt keinem was weg“. Wenn jeder jeden bepöbeln, bespitzeln, verpfeifen darf, gibt es keine Probleme mehr mit Umgangsformen: Jeder ist jedem gleich-gültig.

Rituale des Respekts

Nicht nur in Deutschland ist zu beobachten, wie sozialer Zusammenhalt – jenseits oberflächlicher und materieller Verbindlichkeiten – erlischt, das vertrauenswürdige Lächeln auch. Stattdessen macht sich selbstgewisses Grinsen breit. Es glotzt Sie und mich milliardenfach aus Monitoren und Displays von Smartphones an. Es gilt dem Selbstbild, das die Kamera spiegelt und der Chip speichert. „Schaut her, ich bin’s!“ 

Das Ziel jenes Lächelns, das den ganzen Menschen erfasst, auch in seiner Stimme zu hören ist, wenn er spricht, ist indessen der andere Mensch. Es lebt von ehrlicher Zuwendung, von Neugier, Aufgeschlossenheit und Hochachtung, deshalb kann es anstecken, Herzen öffnen, sogar bezaubern. Und das sind nicht gerade Stärken von Leuten, die von Medien auf Empörung, Sündenbockrituale, Schadenfreude konditioniert sind. Wer aber in den globalen Austauschprozessen der Zukunft bestehen will, muss solche Stärken erwerben. Weil dazu der gute „bewusste“ Wille nicht genügt, wären entsprechende Umgangsformen zu trainieren, und zwar nicht im Managementseminar sondern in jeder Lebenssituation, beginnend in den Familien, Kindergärten und Schulen. Das verlangt nach individueller Bereitschaft – so wie jede individuelle Qualität.

Das egozentrische Weltsystem der Gestelle lässt traditionelle familiäre Sozialmuster weithin absterben. Wer das ändern wollte, müsste Aus- und Weiterbildung an neue Rituale binden: dem Respekt dienliche, individuelle Rechte achtende – das gilt insbesondere, aber nicht nur für Zuwanderer, wenn Integration gelingen soll. Nur eigenverantwortliche, selbständig denkende und  handelnde Menschen können ein Zusammenleben nutzbringend gestalten. Gemeinsames Musizieren, Kooperieren über die Grenzen von Kulturen und Generationen hinweg, Sport beispielsweise, helfen dabei. Manche Schulen kehren zu einheitlicher Schulkleidung zurück – wie sie die Kinder auf Bali tragen –, wieso nicht auch zu Freundlichkeit und Vertrauen fördernden Begrüßungen und Spielen, also mehr als Äußerlichkeiten.

Was für die Großunternehmen eine für das Überleben unentbehrliche Strategie ist – das Trainieren von Umgangsformen für den Interessenausgleich und die Lösung von Konflikten – kann nicht in den Schulen, Behörden, Medien und politischen Parteien als Nebensache behandelt werden. Das aber geschieht in Deutschland. Der ungeregelte Zustrom von Migranten, die sich von vornherein dank einer verantwortungslosen Politik als Anspruchsberechtigte erleben, ohne sich in Interaktionen auf die Kultur der Gastgeber verpflichten zu müssen, verschärft entsprechende Konflikte. Die Gegensätze werden unüberbrückbar, es bilden sich Parallelgesellschaften und -kulturen mit latenter Bereitschaft zum gewaltsamen Durchsetzen ihrer Interessen.

So lange sich öffentlich die Gebetsmühlen der political correctness drehen, dazu betroffene Grimassen geschnitten werden und im Hintergrund die „Dämonen der Vergangenheit“ Schattentheater spielen, werden „Ausländerfeindlichkeit“ und „Rechtsradikalismus“ nicht als das erkannt werden, was sie sind: Symptome einer grundlegenden Krise von Politik und Kultur – unabhängig von ideologischer Topographie.

Will kein Gott auf Erden sein, sind wir selber Götter

Den Umgang mit Göttern hat die Masse aufgegeben. Das Paradies soll hienieden zu finden sein, zu möglichst lange währenden Lebzeiten, ungestört von Krankheiten und Alter. Der Staat soll ’s richten – für die Anspruchsberechtigten mit der korrekten Gesinnung hinter der Stirn, den kaputten Ehen und den vielen Versicherungen.

Lassen Sie es mich kurz machen: die Dominanzstrategie macht zu Sklaven – demnächst vielleicht fremder Mächte. Der Wunsch, über die Zeit zu herrschen, bindet an Uhren, Terminkalender, Organizer; der Wunsch, sich mittels Geld über die Fährnisse des Lebens hinwegzusetzen an Banken, Versicherungen, Gewerkschaften etc.. Jedes technische Hilfsmittel, mit dem Politbürokraten die Welt besser zu beherrschen meinen, vergrößert die Abhängigkeit von technischen Systemen und mehr oder weniger funktionierenden Korporationen in Politik und Wirtschaft. Und die allgemeine Wahrnehmung ist danach: Nur was diesen Gestellen nützt, gilt als sozialkonform. 

Am Ende reduziert sich der Diskurs auf jene brutal diskriminierenden Schubladen der „Political Correctness“, die jedes Denken außerhalb verschwommener „rechts – links“-, „männlich – weiblich“-, „weiß – schwarz“ oder „Arbeitgeber – Arbeitnehmer“-Schemata zum Schweigen verurteilen will. Dieser Bürgerkrieg um Deutungshoheiten, um die informelle Macht, tobt längst. Dass er in offene Gewalt umschlägt, wird sich nicht verhindern lassen, wenn Politbürokraten und ihre mediale Gefolgschaft weiterhin „alternativlos“ nach dem Prinzip „mehr Desselben“ verfahren.

Wünsche und Erwartungen, gebunden an scheinbar unwandelbare Strategien und ihre ideologischen Verblendungen verstopfen die Zukunft und machen die Spielräume immer enger. Sie und ich erleben, dass ein System zum Stillstand kommt und in Gefahr ist, chaotisch zu werden. Der zunehmende weltweit auftretende Terror beweist: Gewalt und Lust an der Gewalt sind keine Angelegenheit lokaler oder regionaler Krisen mehr, bei denen nach Revolution oder Krieg die Macht neu verteilt wird und zumindest vorübergehend auch eine Vielzahl von Strategien und Interessengruppen am Umgestalten teilnimmt. Krisen, Terrorakte und Kriege haben globale Auswirkungen; es ist die Zukunft der Gattung insgesamt, die auf dem Spiel steht.

Was tun? Womöglich „von unten“? 

George Orwell hat in „1984“ die düstere Welt einer vollkommenen Gestell-Dominanz gezeichnet. Schier unüberwindlich beherrscht der totalitäre Staat fast jeden Austausch von Informationen. In der Praxis ist das bislang nie gelungen, und das liegt an scheinbar banalen, aber altbewährten Sozialstrategien wie dem „Kungeln“, dem „Feilschen“ oder „Klatsch und Tratsch“. Nicht einmal die Heerscharen von Stasi-, NKWD-, oder Gestapospitzeln der Regimes mit den ganz großen Glücksversprechen konnten unterbinden, dass  „negative Stimmungen“ sich  ausbreiteten. Sie entziehen sich der quantisierenden Kontrollmechanik von Fragebögen, Umfragen, „Wahlen“ zweifelhafter Art. Folter und Erpressungen lassen sie nicht verstummen. Selbst hinter  im Stechschritt marschierenden Soldaten verbergen sich Impulse von Individuen, hinter den einschüchternden Bildern von Stadien, wo Menschenmassen überdimensional Symbole und Parolen „verkörpern“, von Parteitagen der Einstimmigkeit pulsieren tiefere Strömungen einer Gesellschaft. Auf die augenblickliche Kohärenz, die Ansteckung des „Dabei-Seins“ in der jubelnden Menge, folgt die Rückkehr in die volatilen Verhältnisse privater Gefühle und Meinungen. 

„Klatsch und Tratsch“ sind ein vermittelndes Medium, und die Erziehungswissenschaftlerin Birgit Althans hat so anschaulich wie erheiternd belegt, dass dieses soziale Ritual einen Superkonzern geradeso ins Trudeln bringen kann wie einen prominenten Politiker. Denn es wird unermüdlich in Gang gehalten von den „dominierten“ Frauen und ist weder fass- noch gar kontrollierbar durch die Gestellmechanismen, einschließlich der Arbeitspsychologie und ihrer Statistiken. Informelle Macht – der „Ruf“, die „Credits“ – wird durch unberechenbare Meinungsschübe ebenso schnell zerstört, wie „Moden“ auf diesem Wege begünstigt und abgelöst werden.

Die von Angst um ihre sozialen Besitzstände durchdrungenen DDR-Bürger wählten im Mai 1989 – selbst wenn man Wahlfälschungen von ca. 10 % in Rechnung stellt – immer noch zu ca. 90 % die SED und ihre Blockparteien. Aber die Stimmung war längst auf dem Tiefpunkt, und sie war durch genaue Dokumentation der Stasi so wenig zu retten wie durch Propagandakampagnen. 2005 prognostizierten Wahlumfragen für die CDU eine viel größere Mehrheit, als sie dann erhielt; die „Meinungsforscher“ waren blamiert. Die Stimmungen, die letztlich den Ausschlag geben für die Wahlentscheidungen vieler Tausender, lassen sich eben nicht quantifizieren, schon gar nicht, wenn die „Gemessenen“ dem „Mess-System“ misstrauen.

Bröckelnde Mauern, taumelnde Anstalten: Medien im Wandel

Spätestens seit der Ära Merkel wächst die Kluft zwischen der selbstgewissen Eigenwerbung der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland und ihrem dahinschwindenden Renommee. Gigantische Datenerhebungen und -auswertungen durch „Medienforscher“ sollen den Programmverwaltern sagen, was „Quoten bringt“ – inzwischen fast die einzig entscheidende Größe für Erfolg oder Misserfolg von Sendungen und deren Existenz. Sie sollen ihnen die Entscheidung erleichtern, wie sie die Zwangsbeiträge verteilen. 

Natürlich folgt daraus ein erbarmungsloser Batch-Zyklus: abgesehen davon, dass man sich seit drei Jahrzehnten daran orientiert, was bei der Konkurrenz „Quoten bringt“, wird das Programmspektrum durch Reduktion auf vermeintlich Erfolgreichstes immer schmaler. Die Art der Datenerhebung sorgt dafür, dass dann auch nur in eben diesem, immer schmaler werdenden Segment überhaupt statistisch relevante Daten erhoben werden können. Alles andere, für das „breite“ Publikum „zu anspruchsvolle“ verschwindet in Nischen, wo seine Messbarkeit Fiktion ist. Dadurch passiert zweierlei: Sehgewohnheiten werden ritualisiert, Mittelmäßiges und leicht Konsumierbares setzt sich durch – zum Nachteil eines aufgeschlossenen, kritikfähigen Publikums. Zugleich haben qualitativ hochwertige Programme keine Chance, bekannt und fortentwickelt zu werden. Politisch nicht konforme sind ohnehin längst passé.

Dank der Medienforschung ist die „kulturelle Grundversorgung“ des “beitragsfinanzierten“ Rundfunks heute vom Angebot der bunten Buden nebenan kaum mehr zu unterscheiden. Klar: auch die Buden sind in puncto technischer Neuheiten fast ebenbürtig. Aber dank Selektion nach rein quantitativen Erfolgswerten – eben den Quoten – hinterlassen beide eine Monokultur mit all den von anderen Monokulturen hinreichend bekannten Tendenzen zum Veröden. 

Sie können sagen: Das ist mir Wurst, denn ich sehe sowieso kaum fern und verschwende meine Zeit auch nicht an Dauerdudelprogramme im Radio. Das Zeug ist halt für Mehrheiten, die mit Ewiggleichem versorgt werden wollen.

Sie können sagen: Mir ist das Programm ganz recht, weil ich vorm Fernseher oder Radio entspannen und nicht meine Konzentration zusätzlich beanspruchen will. Mein Leben ist von der Arbeitswelt so strapaziert und ausgepowert, dass mich zusätzliche Anforderungen an Konzentration und Lernfähigkeit zu sehr ermüden, manchmal schlafe ich sowieso ein, aber das ist okay.

Im ersten Fall sind Sie wirklich in einer Situation privilegierter Selbständigkeit – womöglich greifen Sie auf alternative Medien zurück, wie einst DDR-Bürger aufs Westfernsehen, allerdings dürfte Ihnen der Anschluss an folgsame Mitmenschen schwer fallen, wenn Sie bei den vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertretenen Auffassungen abwinken oder sich sogar kritisch äußern.

Im zweiten Fall hoffen Sie vermutlich auf Ihren baldigen Renteneintritt oder fürchten, Ihre Anstellung zu verlieren. Oder beides. Ihre Fernsehgewohnheiten dürfen sie jedenfalls beibehalten. Sie müssen nur damit leben, von fürsorglichen Programmverwaltern und Medienforschern als intellektuell anspruchslos eingeschätzt zu werden. Zu mehr als dem quotengestützten, ewig wiederholten Einheitsbrei reicht es bei Ihnen nicht – über ein qualitativ höherwertiges Programm können Sie also auch nicht mitreden.

Frei entscheiden, wer wofür zahlt 

Von der „Tagesschau“ oder den „heute“-Sendungen bis zum Serienbetrieb à la „Tatort“, der sich an Gewalt – Macht – Lust hält, über andere von Ritualen und stereotypen Rollen bestimmte Dramaturgien bis hin zu konfektionierten Talk- und anderen Sendungen lebt die Mediengemeinde von Gewohnheiten: „„Volksmusikshows“  als musikalische Betriebskantine der Nation erfüllten viele Jahre Wünsche nach gemeinschaftlicher Versorgung ohne Überraschungen, Sport und Shows wie „Wetten dass“ die Wünsche nach Überraschung und spektakulären Leistungen. Ob sie das zur „Grundversorgung“ der Beitragszahler qualifiziert, wäre zu fragen. Sämtliche Themenfelder von Information, Bildung, Unterhaltung in einer „Grundversorgung“ abdecken zu wollen, ist irreal. Muss folglich über deren Auswahl vormundschaftlich und nach eigenen politischen und ökonomischen Interessen entschieden werden? Oder wird hier nicht vielmehr die undemokratische Allianz von Parteien und Sendeanstalten sichtbar?

Eigentlich selbstverständlich wäre, jeden Nutzer entscheiden zu  lassen, wofür er bereit ist zu zahlen. Abonnements, Pay per View, warum nicht auch Patenschaften oder Spenden gäben allen die Möglichkeit, ihre individuelle Auswahl im Angebot der ÖRR zu treffen. Die Archive nicht zuletzt bergen Schätze, die es verdient haben so erschlossen und monetarisiert zu werden, wie’s moderne Algorithmen erlauben. Ein Angebot im digitalen Markt böte obendrein Stoff genug für eine Medienforschung ganz anderen Zuschnitts als die bisherige Quotenmessung. 

Reportagen und Dokumentationen aus dem bürgernahen Umfeld haben Potential  – vor allem wenn sie auf politisches „Framing“ verzichten. Die lokale und regionale Kultur, dazu Handwerk, Mittelstand, Wissenschaft und Industrie bieten Stoff im Überfluss. Sie verlangen allerdings Journalisten, die an Ort und Stelle gründlich recherchieren, im Umgang mit Menschen besonders befähigt sind und sich aufs Zuhören ebenso wie auf kritisches Nachfragen verstehen. Dafür gibt es im Internet längst einen Markt und etliche Angebote ohne den megalomanen Aufwand der Anstalten samt Pensionsfonds, politischen Gremien und Kampagnen. Einen Zwangsbeitrag braucht niemand.

Der Markt, die Freiheit und der Müll

Sind die neuen, interaktiven „Social Media“ mit ihren frei zugänglichen Inhalten von Texten über Podcasts bis Videos und der Möglichkeit, direkt aus dem Publikum zu reagieren, ein Weg aus der Bevormundung? Bisher toben sich auf allen Kanälen Geltungssucht, aggressive Pöbelei und allzu vertraute Kulturkämpfe um die informelle Macht aus; im Ozean medialer Angebote schwappt der Plastikmüll seichter Unterhaltung neben Propaganda in krassesten Farben auf den Wellen.

Andererseits offenbaren sich alle hässlichen Impulse, die immer nur „die anderen“ haben: Neid, Treulosigkeit, Habgier, Süchte jeder Art – alles zur Befriedigung eben jener Lüste, denen auch das Publikum in Shakespeares Globe-Theater frönte: der am Gaffen, am Voyeurismus. Sie sind bei jedem Schau-Spiel dabei. Nur die Botschaft ist höchst unterschiedlich. Die Publicity-geilen Trolle in den sozialen Medien haben keine, außer dass sie sich selbst Klasse finden. Zur Schau gestellte Empörung ist selten mehr als moralische Attitüde. Das unterscheidet sie nicht von Vorbildern in Talkshows. Es geht eigentlich auch nicht um Sinn stiftende Botschaften, sondern ums Bewirtschaften von Gefühlen – nicht zuletzt dem Mitgefühl.

Könnten all die endlosen Stränge von Postings junge Menschen bewegen, ihre Waffen niederzulegen? Können sie festgefahrenen Gesprächen eine Wendung geben, neuen Ritualen der Kommunikation und des Zusammenlebens voran helfen? – Oder bleiben sie nur „Influencer“ aller möglichen Sekten, „Identitäten“, Parteien, Konzerne und präsentieren Gesinnungskitsch mit prahlerischem Herzeigen von Moral und Tugend? Tanzen sie nicht im Reigen von Reklame und Verkauf bei „The Winner Takes it All“ oder „Gewalt – Macht – Lust“ überall auf der Welt?

Im Krieg der Medien zählt der Müll

An dieser Stelle, mit dem Blick auf die zukünftige Bedeutung Künstlicher Intelligenz (KI) für die Verteilung informeller Macht mittels Medien erhebt sich die Frage nach Waffen, Kriegen, organisierter Kriminalität, Schlachtfeldern, Opfern, Ruinen und dem Müll, der schon in Friedenszeiten bedrohlich wächst.

Das sowjetische Sturmgewehr „Awtamat Kalaschnikowa“, kurz „AK 47“ ist heute die erfolgreichste und meistverbreitete Kriegswaffe aller Zeiten. Sie trägt den Namen ihres Erfinders, des russischen Ingenieurs Michail Kalaschnikow und ging ab 1947 in Massenfertigung. In Korea erschien die AK 47 erstmals auf einem Kriegsschauplatz; mit Gründung des Warschauer Paktes 1955 wurde sie Standard-Infanteriewaffe bei allen Verbündeten Moskaus; damals auch dem China Mao Zedongs. Die chinesische Lizenzproduktion überdauerte sogar den Bruch der sowjetisch-chinesischen Beziehungen 1959. Noch heute verbreiten sich zahllose chinesische AK 47 und deren Weiterentwicklungen in aller Welt. In aller Welt verschenkten und verkauften die Ostblockstaaten diese „Sturmgewehre“ zu Hunderttausenden an „Nationale Befreiungsbewegungen“, verbündete Heere, neutrale Staaten. Ein beispielloser Siegeszug begann. Wie überlegen die AK 47 gerade durch ihre robuste, unkomplizierte, kostengünstige Bauart war, erfuhren zuerst die amerikanischen GIs in Vietnam.

Ruhm und Export der Kalaschnikow wuchsen unaufhaltsam: sie wurde zum Symbol des „antiimperialistischen Kampfes“, Mosambik führt sie als solches auf seiner Flagge und im Wappen. Die politische, soziale und ökonomische Realität zeigt einen Staat am Rande des Scheiterns, Spielball globaler Konzerne und Großmächte, in der UNO getreulich dabei, wenn das rituelle Bashing von Israel über die Bühne geht – des einzigen demokratischen und nicht-muslimischen Staates im Nahen Osten. Mosambiks Bevölkerung geht es schlecht, Jahren des Bürgerkriegs folgten wenige friedliche, seit 2015 feuern Terroristen des „Islamischen Staates“ bei Unruhen im Norden des Landes mit. 

Die AK 47 ist eine Lieblingwaffe von Terroristen, geschätzt mehr als 100 Millionen Kalaschnikows sind in aller Welt unterwegs. Kriminelle nutzen sie nur ausnahmsweise, es gibt wirksamere, unauffälligere Waffen. Manche Politiker haben gleichwohl begriffen, welches Problem den wirtschaftlich und politisch immer enger verflochtenen Staaten in einer Zeit des Terrors und der regionalen Konflikte erwächst, wenn solche Kriegswaffen unkontrolliert verbreitet werden. 

„Control Arms“ – so heißt eine Kampagne von Amnesty International, Oxfam und anderen „Nicht-Regierungsorganisationen“, die seit 2003 das öffentliche Bewusstsein dafür schärfen und Verantwortliche in Politik und Wirtschaft zur Kontrolle des Waffenhandels drängen will. Es gelang, sie auf die Tagesordnung der Vereinten Nationen zu bringen und dort 2014 eine mit überwältigender Mehrheit abgestimmte Resolution zu bekommen über das Waffen-Handelsabkommen „Arms Trade Treaty“. Die Bundesrepublik unterzeichnete und ratifizierte mit über 50 anderen, so dass es in Teilen der Welt eigentlich vorangehen sollte mit mehr Abrüstung, weniger Waffenhandel und „Heal the World, make it a better place, for you and for me and the entire human race…“ 

Die Realität zwanzig Jahre nach „Control Arms“ sieht anders aus. Nach wie vor mordet, was Michael Klare, Professor für Friedensstudien am Hampshire College in Massachusetts, als „das tödlichste aller Kampfsysteme“ bezeichnete: Es sind „halbwüchsige Männer mit AK-47“. Bis zu neunzig Prozent ihrer Opfer sind Zivilisten. Dass die Kalaschnikow – trotz Drohnen und anderer avancierter Kriegstechnik – jemals auf dem Müll landet, darauf würde ich nicht wetten. 

Den zynischen Ausdruck „Menschenlocher“ für einen Revolver habe ich irgendwann der deutschen Synchronisation eines Westernfilms abgelauscht. Das Töten als Handgriff im Büro und der Spruch: „Gelesen, gelacht, gelocht“ fielen mir dazu ein, und wie Filme, Fernsehen, Video- und Computerspiele dem Sterben und Sterben lassen seinen Schrecken nehmen, gar voyeuristische Lust wecken.

Die Kalaschnikow ist ein mächtiger Menschenlocher. In den Händen von Kriminellen und Terroristen verbreitet er fast noch mehr Angst als in der von Soldaten – denn die können sich wenigstens wehren, haben  Helme, Schutzwesten, Mitkämpfer. Unbewaffnet, ungeschützt überlebt niemand eine Salve – in den Rücken zumal, wohin sie etwa Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze traf. So ein Ding in der Hand zu haben, kann einem Menschen – Mann oder Frau – sehr unmittelbar das Gefühl großer Macht einflößen: Macht über Leben und Tod.

Was der so Ermächtigte kaum realisiert: Jeder Menschenlocher macht den, der ihn hält, zur Zielscheibe, zum bloßen Objekt in der Mechanik moderner Massenkriege und deren Statistik. Und damit sind wir beim Kern des Problems: dem Kopf und den Gefühlen des Schützen, beim Moment des Entscheidens mit dem Finger am Abzug, und in den Köpfen der Planer und Bürokraten massenhaften Sterbens.

Jedes Leben braucht den Impuls der Selbsterhaltung – und es gibt unzählige Strategien und Verhaltensmuster in denen er sich ausdrückt, darunter gewalttätige. Neben dem physischen Geschehen liegt darin auch ein informelles: die Botschaft: „Ich bin stärker“ – oder „ich gehöre zu den Stärkeren, also unterwirf dich!“ Der Dominanzimpuls ist so alt wie das Leben selbst, hat in der Geschichte der Menschheit ganz eigene Rituale ausgeprägt, ist lustvolle Kultur geworden: Sport, Training für Leib und Seele – freilich nicht für jeden. 

Mehr darüber im nächsten, dem 17. Teil – wenn sie wieder dabei wären, wär’s mir eine Freude.

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