Abtreibung: die freiheitliche Perspektive

Es wäre eigentlich das Thema der Zeit. Kaum eine andere Entwicklung hat so viel Einfluss auf die Zukunft. In kaum einem anderen Bereich gibt es in Friedenszeiten so viel menschliches Leid. Die Rede ist von Abtreibung, der Tötung von Kindern im Mutterleib. 

Seit der faktischen Freigabe durch die Fristenregelung in Deutschland durften bis heute rund zehn Millionen Kinder nicht zur Welt kommen bzw. wurden gar nicht erst gezeugt, weil schon ihre Eltern abgetrieben wurden. Müßig darüber nachzudenken, was wäre, wenn diese zehn Millionen Menschen geboren worden wären. Wie viele deutsche Handwerker, Facharbeiter, Lehrer, Erfinder, Sport- und Musikstars gäbe es mehr? Wie viele Diskussionen um Zuwanderung und Demografie wären uns erspart geblieben? Müßig, wie gesagt.

Nun sind wir eben da, wo wir sind. Und das heißt, dass Abtreibung ein Thema ist, über das mitunter am heftigsten gestritten wird. Das aber seit Jahrzehnten politisch nur eine Richtung kennt: Liberalisierung. Liberalisierung meint hier das Streichen von Einschränkungen, aber auch von Verantwortung – und von Freiheit.

Nämlich der Freiheit eines menschlichen Lebens, und schließlich geht es – darin sind sich Libertäre aller Couleur sicher einig – immer um die Freiheit des Menschen als höchstes Gut. Es müssen hier allerdings zwei Prämissen aufgestellt werden, ohne deren Akzeptanz das Thema zu diskutieren keinen Sinn ergibt.

Erstens: Dass das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Hierbei entsteht nämlich ein neuer Mensch, mit einem eigenständigen genetischen Code, mit einem eigenen Entwicklungsprogramm, mit einer eigenen Seele. Dies vorausgesetzt, kann man konstatieren: Roland Baaders Diktum, wonach das einzig wahre Menschenrecht das Recht sei, in Ruhe gelassen zu werden, so wie auch das bei Libertären hoch in Ehren stehende Nichtangriffsprinzip gelten auch gegenüber dem ungeborenen Kind.

Zweitens: Der liebe Gott hat es nun einmal so eingerichtet, dass ein Mensch vor und einige Jahre nach der Geburt nicht selbständig (über-)lebensfähig ist. Das bedeutet: Es gilt anzuerkennen, dass es im Leben Phasen gibt, in der der Mensch auch bei einer hypothetisch freiwilligen Entscheidung nicht alleine leben kann.

Wenn man diese beiden Punkte miteinbezieht, ergeben Aussagen wie die von Murray Rothbard, der Ungeborene als „Eindringlinge“ bezeichnet hatte, falls die Mutter sich umentscheidet und das Kind doch nicht will, keinen Sinn. Weil es bestimmte Dinge im Leben gibt, die determiniert sind. Dazu gehört übrigens auch die Frage nach dem Geborenwerden: Wir konnten nicht entscheiden, nicht geboren zu werden.

Einige libertäre Einwürfe zur Abtreibung, etwa von Stefan Blankertz oder jüngst von Andreas Tiedtke an dieser Stelle, legen den Fokus zu sehr auf die Strafbarkeit oder die staatlichen Eingriffe. Ist eine Abtreibung vorgenommen worden, ist das Kind tot. Über die Folgen – womit nicht nur Vergeltung gemeint ist – für Mutter (und Vater) zu diskutieren, kann wichtig sein, aber wie die Schwangerschaftskonfliktberatung zeigt (siehe meinen „Sandwirt“-Artikel), spielen in den meisten Fällen böse Absichten keine Rolle.

Viele Frauen sind nicht frei in ihrer Entscheidung, weil sie getrieben sind von einem Konflikt, aus dem sie unbedingt herauswollen – und der meistens eben nicht die Schwangerschaft selbst ist. Die Abtreibung ist dann oft ein tragischer Kollateralschaden. Ironischerweise wird Lebensschützern oft vorgeworfen, den Blick ausschließlich auf das ungeborene Kind zu werfen. Doch fokussiert man sich auf die Frau, wie das etwa die größte europäische und nicht-staatliche Beratungsorganisation Profemina tut, wird Frauen und Kindern geholfen. Und trennen kann man Mutter und Ungeborenes aus genannten Gründen nie vollständig.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: In den allermeisten Fällen ist eine Schwangerschaft Folge einer freien Entscheidung. Der zweite Teil des oben genannten Baader-Zitats („… von jedem, den man nicht eingeladen hat oder den man nicht willkommen heißt“) greift also insofern nicht, weil die Eltern einen „Vertrag“ mit dem Kind eingehen.

Wie Hayek in seiner „Verfassung der Freiheit“ schrieb, verlangt die Freiheit, dass „die Verantwortung des Einzelnen sich nur auf das erstreckt, was er beurteilen kann, dass er in seinen Handlungen nur das in Betracht ziehen muss, was innerhalb des Bereichs seiner Voraussicht liegt und vor allem, dass er nur für seine eigenen Handlungen (und die der seiner Fürsorge anvertrauten Personen) verantwortlich ist“. Der ungeborene Mensch liegt u. a. auch aus naturrechtlicher Sicht im Verantwortungsbereich der Eltern, die für dessen Fürsorge verantwortlich sind. Wer sich partout nicht in der Lage sieht, die Verantwortung der Elternschaft zu übernehmen, der kann sein Kind zur Adoption freigeben. Die Nachfrage übersteigt hier seit Jahren um Welten das Angebot.

Libertäre sollten nicht in einen lebensverneinenden und nihilistischen Sog abgleiten, den sie dann Freiheit nennen. Statt über Sühne für das Leid zu sinnieren, sollten sie dafür kämpfen, Leid zu verhindern. Insofern gilt es, Tiedtke zuzustimmen, wenn er sagt, die feindseligen Handlungen gegenüber sich selbst und der Welt – und damit auch den Menschen in seinem engsten Nahbereich – sollten überwunden werden, auf dass die Menschen sich respektvoller, liebevoller und mitfühlender begegnen. Und ja, dann würde auch die Zahl der Abtreibungen zurückgehen.

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