Alles, was Recht ist

Diesen Text gibt es auch als Episode im Wurlitzer, dem Podcast des Sandwirts: Hier.

In den politischen und vorpolitischen Diskussionen werden Rechte und Freiheiten sowie aufgezwungenes Recht und vereinbartes Recht immer wieder synonym verwendet, obwohl es beachtliche Unterschiede gibt. Im Folgenden will ich deshalb die Begriffe Recht, Freiheit, Besitz und Eigentum erörtern. Es handelt sich dabei – wie stets in dieser Kolumne – um eine praxeologische Einordnung und nicht um eine juristische Erörterung ‚de lege lata‘.

Freiheit

Im Hinblick auf eine Freiheit ist es beispielsweise nicht notwendig, dass sich jemand dazu verpflichtet, mir diese Freiheit zu gewähren. Die Meinungsäußerungsfreiheit habe ich zunächst, außer jemand macht sie mir streitig. Gewähren mir die Herrschenden eines Staates eine kupierte Meinungsäußerungsfreiheit, also werden manche Meinungen von mir, die Werturteile sind, verboten, dann habe ich kein Recht hinzugewonnen, sondern meine Meinungsäußerungsfreiheit wurde beschränkt. (Über die handlungslogische Sicht auf „Beleidigung” habe ich bereits in dem Artikel Seien Sie doch nicht beleidigt! geschrieben.)

Besitz

Wenn Ludwig von Mises (1881 – 1973) von „ökonomischem Eigentum” sprach, meinte er damit nicht das „juristische Eigentum”, sondern die tatsächliche Kontrolle über Ressourcen. Auch in der deutschen Rechtswissenschaft und ebenso in der Praxeologie ist es sinnvoll, den Besitz, der einen tatsächlichen Zustand darstellt, nämlich die Verfügungsgewalt über Sachen (und der somit eine Freiheit ist), vom juristischen Eigentum zu unterscheiden. 

Mises schrieb:

„Die Bedeutung des rechtlichen Eigentumsbegriffes liegt gerade darin, dass er zwischen dem physischen Haben und dem rechtlichen Habensollen unterscheidet. […] Doch wirtschaftlich ist nur das natürliche Haben von Belang. Die wirtschaftliche Bedeutung des rechtlichen Habensollens liegt allein in der Unterstützung, die es der Erlangung, Erhaltung und Wiedergewinnung des natürlichen Habens leiht.“ 

(Die Gemeinwirtschaft (1932), S. 11)

Recht

Im praxeologischen Sinne ist Recht die Wirkung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. Das Recht kann dem menschlichen Handeln nicht vorausgesetzt sein, sondern es entsteht erst durch menschliches Handeln, durch eine sogenannte „normative Interaktion”, das heißt, es wird vereinbart, was sein soll.

Ein einfaches Beispiel ist der Kauf. Der Käufer eines Autos verpflichtet sich, den Preis zu bezahlen, der Verkäufer, das Auto zu übereignen, und in der Folge hat der eine das Recht, den Kaufpreis zu fordern, und der andere, den Wagen.

Charakteristisch an Rechten ist, dass es durch sie nach den Vorstellungen der Beteiligten zu einem sogenannten „Pareto-Optimum” kommt, das heißt, alle stehen im Hinblick auf ihren Besitz, einschließlich den Besitz am eigenen Körper, besser als vor der Vereinbarung. Das Ergebnis ist eine Win-win-Situation. Dem Verkäufer ist das Geld mehr wert als das Auto und umgekehrt. Denn der Mensch handelt, um seine Situation zu verbessern, also an Freude zu gewinnen. Ein freiwilliger Austausch kommt also dann zustande, wenn die Beteiligten die ausgetauschten Güter unterschiedlich bewerten (subjektive Wertlehre) und nicht, wenn sie diese für gleichwertig halten. 

Eigentum

Nun können wir auch sehen, wie aus Besitz Eigentum, also ein Recht werden kann. Max Stirner (1806 – 1856) beschrieb es wie folgt:

„Mein Eigentum ist kein Ding, da dieses eine von mir unabhängige Existenz hat; mein eigen ist nur meine Gewalt. Nicht dieser Baum, sondern meine Gewalt oder Verfügung über ihn ist die meinige. Und diese Gewalt oder Verfügungsmacht des Einzelnen über eine Sache wird allein dadurch permanent und ein Recht, dass andere ihre Gewalt mit der seinigen [des Eigentümers] verbinden.“ 

(Der Einzige und sein Eigentum (2016), S. 241)

Wenn sich also Menschen rechtlich dazu verpflichten, sich wechselseitig bei der Verteidigung ihres (in nicht-aggressiver Art und Weise erlangten) Besitzes zu unterstützen, so erwächst hieraus das Eigentum als Recht, von den anderen Beistand einzufordern.

Unrecht (erzwungenes Recht)

Im Gegensatz zum vereinbarten Recht steht das erzwungene oder aufgezwungene Recht, das aus der Sicht des Betroffenen Unrecht ist und kein Recht. Wenn A dem B damit droht, ihm Zwang zuzufügen, falls B nicht 1.000 Euro an A zahlt, dann entsteht kein Recht, sondern handlungslogisch betrachtet ist die Drohung mit Zwang eine feindliche Handlung. A hat nicht das Recht, die 1.000 Euro von B zu fordern, er hat – wir gehen hier davon aus – die Macht, B ein Übel zuzufügen, falls B nicht zahlt, etwa Zwangsgeld, Zwangspfändung oder Zwangshaft.

Übrigens spielen Mehrheitsverhältnisse bei der Frage, was Recht ist, keine Rolle, denn aus Zahl kann Recht nicht folgen. Wenn vier sich verabreden, einen Fünften um 1.000 Euro zu erleichtern, dann spielt es praxeologisch keine Rolle, dass 80 Prozent für die feindliche Handlung sind. Damit eine Mehrheitsentscheidung, also letztlich eine Größenzahl, normative Wirkungen entfalten kann, bräuchte es die freiwillige Zustimmung aller Beteiligten, dass in diesem oder jenem Falle das gelten soll, was die zahlenmäßige Mehrheit will. 

Charakteristisch für aufgezwungenes Recht ist, dass es zu „Pareto-Verschlechterungen” kommt: Die einen gewinnen etwas auf Kosten und zu Lasten der Betroffenen, es kommt in Bezug auf den Besitz, einschließlich dem Besitz am eigenen Körper, zu sogenannten Win-lose-Situationen.

Wenn beispielsweise A den B zwingt, für die Nutzungsmöglichkeit eines von A produzierten Rundfunks 220 Euro jährlich zu zahlen, und wenn der B diese 220 Euro tatsächlich zahlt, wissen wir nicht, ob dem B das Programm 220 Euro wert ist oder ob er diesen Betrag lediglich bezahlt, um die Zwangsmaßnahmen abzuwenden, also Zwangspfändung, Zwangshaft und letztlich unmittelbaren Zwang, also Gewalt, falls der B sich nicht „kooperativ” verhält. Zahlt B lediglich, um den Zwang abzuwenden, dann gewinnt A auf Kosten und zu Lasten des B, der einen Schaden erleidet.

Da es beispielsweise bei einer zwangsweisen Einziehung zum Krieg an einer freiwilligen Verpflichtung fehlt, ist es handlungslogisch falsch von „Wehrpflicht“ zu sprechen; richtig wäre Militärzwang, denn der Betroffene hat sich gerade nicht selbst verpflichtet, sondern er wird dazu gezwungen. Dasselbe gilt im Hinblick auf Schulzwang, Impfzwang oder Zwangsabgaben. 

Dass hier euphemistisch von „Pflichten“ gesprochen wird, dient ja gerade dazu, zu verwirren, beziehungsweise das „Welt- und Ich-Bild” eines Nationalstaates als „Zwangskollektiv” im Denken der Menschen zu implementieren, nach welchem der Einzelne nicht Selbstzweck ist, sondern unselbständiger Teil einer imaginierten Nation, für die er auch Leib und Leben herzugeben hat. Handlungslogisch betrachtet ist das falsch. Der „Nation” eine unmittelbare Wirklichkeit zuzuschreiben, wie sie der handelnde Mensch aus Fleisch und Blut hat, ist der Denkfehler der Hypostasierung, bei welchem einem geistigen Konstrukt eine unmittelbare Wirklichkeit zugeschrieben wird.

Geltungsvorrang

Im Hinblick auf gesellschaftliche Hierarchien ist aus handlungslogischer Sicht entscheidend, ob es sich um erzwungene Hierarchien handelt, die top-down mit Gewalt durchgesetzt werden, oder ob es sich um „natürliches Recht” handelt, „natürlich” hier verstanden als „nicht-erzwungen”, was zu einer freiwilligen Hierarchie führt beziehungsweise zu einer Bottom-up-Struktur. 

Im Hochmittelalter galt noch: Willkür (Privatrecht) bricht Stadtrecht, Stadtrecht bricht Landesrecht und Landesrecht bricht Reichsrecht. Die Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht war dem älteren deutschen Recht fremd. In vorabsolutistischer Zeit ging man nicht davon aus, dass der Staat das Recht „macht”, sondern er hatte dem Recht mit seiner Macht zu dienen. Erst im Absolutismus kam die Idee auf, dass der Staat sich das Recht mehr oder weniger ausdenken kann, dass das Recht selbst ein Machtmittel des Staates ist. Der Staat könne Recht „setzen” (ius positivum, gesetztes Recht), so die Idee, die sich als „herrschende Meinung” und auch als Meinung der Herrschenden durchgesetzt hat; man spricht deshalb auch von „Rechtspositivismus”.

Handlungslogisch betrachtet ist das falsch, da es sich bei erzwungenem Recht nicht um natürliches Recht handelt, sondern um die Ausübung von Macht, um eine feindliche Handlung. Schon Immanuel Kant (1724 – 1804) stellte fest, dass das staatliche Strafrecht nicht apriorischen Regeln für Wiedergutmachung oder Vergeltung folgt, sondern dass es schlicht die Gewalt des Befehlsgebers ist, wegen Verstößen gegen seine Befehle Schaden zuzufügen.

Wird Recht von oben erzwungen, dann leben die Menschen nicht in einer freundlichen Gesellschaft, sondern in einer bezwungenen Gesellschaft. Es gilt im wahrsten Sinne des Wortes das „Recht des Stärkeren”, also derjenige Machtverband gibt den Ton an, der seine Befehle durchzusetzen vermag.

Um eine Gesellschaft zu begründen, die auf friedlichem und freundlichem Handeln aufbaut, bräuchte es also nichts anderes, als den heutigen erzwungenen Geltungsvorrang umzukehren. 

Apriorische Ethik

Es ist also ohne weiteres möglich, eine Rechtsordnung zu errichten, die mit einer apriorischen Ethik, wie ich sie im Artikel Eine neue Ethik ausführlich besprochen haben, vereinbar ist. Hier nochmals das Schaubild zur Übersicht:

Im Grunde genommen kann man nur dann von einer „natürlichen Rechtsordnung” im Sinne einer nicht-erzwungenen sprechen, wenn das Recht erstens vereinbart wird und sich dadurch zweitens – sozusagen automatisch – ein umgekehrter Geltungsvorrang und eine bottom-up strukturierte friedliche Gesellschaft ergibt. 

Bei der Geltung dieses „Naturrechts” wird Zwang nur eingesetzt, um Aggression abzuwehren, wiedergutzumachen oder zu vergelten, wenn eine Wiedergutmachung der Natur der Sache nach nicht möglich ist, oder wenn sich Parteien freiwillig verpflichtet haben, dass die wechselseitigen Pflichten mit Zwang durchgesetzt werden können (Vertrag).

Schlussbetrachtung

Wir befinden uns meiner Einschätzung nach in der Phase eines großen gesellschaftlichen Umbruchs. So wie der Buchdruck dazu geführt hat, dass die Praktiken der katholischen Kirche, insbesondere in Bezug auf ihren Ablasshandel, im 15. Jahrhundert in der öffentlichen Meinung in Verruf gerieten, gibt das Internet den Menschen heute die Möglichkeit, auf ökonomisch viel günstigere Art und Weise als bisher ein Massenpublikum zu erreichen, bestehende Missstände zu analysieren und friedliche und freiheitliche Lösungen zu diskutieren.

Ich stimme Immanuel Kant zu, der meinte, dass es zur Aufklärung nichts weiter bräuchte als „die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen“. 

Und genau deshalb kursieren im politischen Diskurs gerade Begriffe wie Kampf gegen Hass und Hetze, Faktenchecken, Desinformation, ungefilterte Meinungen, Einmischung in Wahlen und dergleichen. Es geht darum, den öffentlichen Debattenraum vor einer unerwünschten Renaissance der Aufklärung abzuschirmen.

Ludwig von Mises und seine Kollegen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie haben nachgewiesen, dass nur mit der Marktwirtschaft Konsumentensouveränität und eine breite Versorgung der Masse der Menschen mit Gütern erreicht werden kann. Sein Schüler Murray Rothbard (1926 – 1995) und dessen Schüler Hans-Hermann Hoppe haben eine apriorische Ethik entwickelt, deren Fundament das Nicht-Aggressionsprinzip ist. Und in diesem Artikel wurde darüber aufgeklärt, was der handlungslogische Unterschied zwischen Recht und Unrecht aus der Perspektive der Betroffenen ist. 

Wenn sich das Verständnis im öffentlichen Diskurs durchsetzt, dass staatliches Handeln unter Verletzung des Nicht-Aggressionsprinzips nicht nur ökonomisch „dysfunktional” ist, sondern auch unethisch und ungerecht, dann wird es auch eine Umwälzung zu einer friedlichen und freiheitlichen Gesellschaft geben, egal wie sehr sich die Beharrungskräfte dagegenstemmen mögen.

Quellen:

Both u.a., Recht im Alltag der mittelalterlichen Bevölkerung, S. 17, mit Hinweis auf H. Mitteis / H. Lieberwirth, Deutsche Rechtsgeschichte, München 1992, S. 228

Grundzüge der Rechts- und Staatswissenschaft, Kunkel, Peters, Grundzüge des deutschen Privatrechts, Hans Planitz, Berlin 1949

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