Energiekrise beendet? Nein, wir sind mittendrin!

Vor wenigen Tagen hat Bundesminister Robert Habeck in einer Rede beim „Berlin Energy Transition Dialogue“ in Berlin den Mund reichlich voll genommen. „Die Energieversorgung ist in jeder Hinsicht sicher“, behauptete er, und dann erklärte auch noch die Energiekrise quasi für beendet: „Heute darf ich sagen: Diese Krise haben wir abgearbeitet.“

Er räumte zwar ein, dass Deutschland immer noch „90 Prozent seiner fossilen Energien aus Importen“ beziehe, doch: „Wir werden diese Zahl deutlich reduzieren auf bis zu 30 Prozent. Aber diese 90 Prozent, so fossil sie noch sind, sind inzwischen gesichert.“ 

Vor allem aber würden sich die Strompreise „auf das Niveau runter von vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine“ bewegen, und er ergänzte: 

„Ich würde sagen, diese Aufgabe ist erfolgreich abgearbeitet worden. Dazu kommt, dass sich in Deutschland die Klimaschutzanstrengungen auszahlen. Wir haben das Land auf Klimakurs gebracht. Wenn wir die Gesetze umsetzen, die geschrieben und die verabschiedet wurden, dann wird Deutschland (…) 2030 seine Klimaschutzvorgaben einhalten können. Das sage ich nicht aus Eigenlob, sondern nur um Ihnen ein Gefühl zu geben, wo Sie sich gerade befinden: dass wir trotz der Energiekrise den Klimaschutz nicht vergessen haben und die Aufgabe abgearbeitet haben.“

Dreimal in einer Rede das Wort abgearbeitet – so soll mit Nachdruck jeder Zweifel am energiepolitischen Kurs der Bundesregierung zerstreut werden. 

Doch der Schein trügt, wir sollten uns von diesen schönen Worten nicht blenden lassen. Es gibt eine ganze Reihe von Hintergründen und Expertenstatements, die belegen, wie dünn das Eis ist, auf dem sich die Regierung da bewegt. 

Krise nach wie vor akut

„Von Krisenende kann keine Rede sein“, erklärte etwa postwendend der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Dr. Wolfgang Große Entrup, gegenüber der Berliner Zeitung. Die Kosten für Energie und Rohstoffe seien nach wie vor viel höher als bei den Wettbewerbern: „Der Industriestrompreis für industrielle Großkunden ist fast viermal so teuer wie in den USA und etwa 75 Prozent höher als in China oder Frankreich“, so der Verbandschef.

Und Aluminium Deutschland e. V., die Vereinigung der Aluminium produzierenden und verarbeitenden Industrie in Deutschland, erhob auf LinkedIn Einspruch: 

„Leider ist die Energiekrise nicht vorbei. Sie ist nach wie vor akut! Die deutsche Aluminiumindustrie leidet unter den hohen Energiekosten.“

Der Sprecher des Verbandes, Tim Stappen, widersprach auch explizit, ebenfalls gegenüber der Berliner Zeitung, Habecks Aussage von Energiepreisen wie auf dem Vorkriegsniveau. Diese Entwicklung sei nicht angebotsbedingt, sondern komme von der schwachen industriellen Nachfrage: „Das ist aber nicht der Preis, den die Unternehmen oder auch Haushalte für ihre Energie tatsächlich bezahlen“, hieß es.  

Konjunktur runter, Strompreise runter

Damit spricht der Verbandssprecher einen Fakt an, auf den ich hier im Sandwirt auch bereits im Februar hingewiesen hatte: 

Tatsächlich sinken nun die CO2-Kosten und damit die Strompreise. Aber die Ursache ist fatal: Denn die Nachfrage nach Strom sinkt auf Grund des Rückgangs des Stromverbrauchs der energieintensiven Industrie. Damit sinkt auch die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten: der Strompreis gibt nach.

Weil das so wichtig zum Verständnis der Folgen der fehlerhaften Energiepolitik ist, zeige ich im Folgenden die einzelnen Schritte. Zunächst der Börsenstrompreis des Jahres 2021: Die Strompreise vervierfachten sich – wohlgemerkt lange Zeit vor dem russischen Einmarsch. 

Und dieser Anstieg ist maßgeblich von den steigenden CO2-Zertifikatspreisen geprägt. Denn eine Ursache der Strompreisexplosion ist die Verteuerung der CO2-Preise durch das europäische Zertifikate-Handelssystem. Im Jahr 2021 wurde die Anzahl der Berechtigungszertifikate für CO2-Emissionen um jährlich 2,2 Prozent verknappt, was dazu führte, dass sich 2021 die CO2-Preise massiv um das Vier- bis Fünffache erhöhten. 

Diese CO2-Preiserhöhung führte in Deutschland zu einer Verdoppelung der  Strompreise in Deutschland. Das zeigt die folgende Grafik für den Zeitraum Juli 2019–23, die ich Ihnen hier im vergangenen November schon einmal gezeigt habe, die ich aber noch einmal verwende, weil ich sie weiter unten durch eine Aktualisierung für 2023/24 kontrastieren werde. 

Die Strompreisexplosion hatte Folgen. Produktionsstillegungen in der Aluminium- und Stahlindustrie, der Glas- und Papierindustrie wurden begleitet von Produktionsverlagerungen in der chemischen Industrie. Die Produktion in der energieintensiven Industrie ging um 20 Prozent zurück. 

Die nächste Grafik zeigt für den Zeitraum April 2023–März 2024, wie die CO2-Preise die Erzeugungskosten der einzelnen Kraftwerksarten nach oben schnellen ließen.  

Bei dem Kostenvergleich der Kraftwerke springt die mit Abstand günstigste Erzeugungsform der bis zum 15.4.2023 betriebenen Kernkraftwerke ins Auge, die keine CO2-Zertifikate zu bezahlen haben. Ausgerechnet diese Kraftwerke wurden stillgelegt.

Wir haben es in den letzten Jahren mit einem Rückgang der Produktion der energieintensiven gegenüber der nicht-energieintensiven Industrie zu tun. Nur weil unsere Konjunktur wegbricht, sinken die Kosten für den Strom. 

Und mit dieser Deindustrialisierung gingen der CO2-Ausstoß, aber auch der Strombedarf und damit die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten zurück. Die gute Nachricht: Der CO2-Ausstoß Deutschlands ging von 762 Mio. t im Jahr 2021 auf 673 Mio. t im Jahr 2023 zurück. Die schlechte Nachricht: Dies wurde erkauft durch eine teilweise Zerstörung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Als Wirtschaftsminister müsste sich Robert Habeck eigentlich größere Sorgen machen. Denn er müsste wissen, dass sich ein Investor niemals für Deutschland entscheiden wird, wenn er weiß, dass wir nur deswegen ein ausgeglichenes Energiebudget auf Strom- und Gas-Seite haben, weil die Produktion runtergegangen ist und die Preise bei der nächsten Gelegenheit, wenn es wieder eine konjunkturelle Erholung gibt, wieder explodieren werden. Denn wo soll der Strom herkommen?

Schallende Ohrfeige

Abgesehen von der notwendigen Differenzierung beim Blick auf die Entwicklung der Strompreise gibt es andere sehr ernüchternde Fakten, die der Wirtschaftsminister nicht sieht oder nicht sehen will. 

So etwa der gerade erst erschienene Bericht des Bundesrechnungshofes „zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Stromversorgung“ vom 7. März 2024. Hier ein paar Zitate, die schallen Ohrfeigen für die Regierung bedeuten:

  • „Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, der Strom ist teuer und Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregierung nicht umfassend bewerten.“
  • „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat es hingenommen, dass Gefahren für die Versorgungssicherheit nicht rechtzeitig sichtbar und Handlungsbedarfe zu spät erkannt werden.“
  • „Es ist absehbar, dass insbesondere Windenergie an Land nicht in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang ausgebaut wird. Es ist nicht sichergestellt, dass die erforderlichen Backup-Kapazitäten rechtzeitig verfügbar sind; der Netzausbau liegt erheblich hinter der Planung zurück. Der Rückstand beträgt mittlerweile sieben Jahre und 6.000 km.“
  • „Der Bundesrechnungshof sieht das Risiko einer erheblichen Lücke an gesicherter, steuerbarer Kraftwerksleistung zum Ende des aktuellen Jahrzehnts.“
  • „Bereits heute steht die Bezahlbarkeit der Stromversorgung in Frage.“
  • „Bereits im Jahr 2022 kritisierte der Bundesrechnungshof, dass das BMWK erhebliche weitere Kosten für die Energiewende unberücksichtigt lässt. Dadurch entsteht außerhalb der Fachöffentlichkeit ein falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation.“
  • „Auf dem Weg zu einer sicheren, bezahlbaren und umweltverträglichen Versorgung mit erneuerbaren Energien steht die Bundesregierung vor großen Herausforderungen. Diese werden bislang kaum bewältigt. Die Bundesregierung muss umgehend reagieren, andernfalls droht die Energiewende zu scheitern.“

Gabor Steingart hat diese vernichtende Beurteilung des Rechnungshofes in Focus online treffend so kommentiert: „Robert Habeck lebt auf seinem eigenen Stern. (…) Dieser sagenhafte Planet hat nur einen Nachteil: Er liegt in einer anderen Galaxie als die Erde. Wie ein magischer Sehnsuchtsort kreist er über dem Himmel von Berlin. (…) Auf dem Boden der Tatsachen, da wo der Bundesrechnungshof siedelt, ist eine andere Wirklichkeit zu besichtigen. 

Robert Habeck reagierte mit einem Achselzucken: „Den Bericht des Rechnungshofes habe ich zur Kenntnis genommen. Die Kritik an der Bundesregierung kann ich nicht nachvollziehen.“

Sehr viel Geld

Dafür geht die Kritik von E.on-Chef Leonhard Birnbaum aber in dieselbe Richtung wie die des Rechnungshofes. WELT online zitiert ihn mit den Worten: „Die Zustimmung zu Energiewende und Klimaschutz nimmt ab. Wenn wir die Menschen nicht verlieren wollen, müssen wir uns ehrlich machen“ und vor allem „deutlich sagen, dass die Transformation in den nächsten Jahren sehr viel Geld kosten wird“.

Um „die Systemkosten“ der Energiewende einzugrenzen, schlug Birnbaum sogar vor, „den Zubau weiterer Erneuerbarer mit dem Ausbau der Netze zu synchronisieren und von diesen abhängig zu machen.“ Denn man könne nicht erneuerbare Energien „beliebig zubauen, wenn die nicht bei den Kunden ankommen, und nur die Kosten erhöhen.“

„Knapp die Hälfte der Deutschen glaubt, in zehn Jahren schlechter zu leben als heute“, ergänzte der E.on-Chef: „Sorgen um den eigenen Wohlstand und die Sicherheit rücken immer mehr in den Fokus.“ Es gehe daher jetzt nicht mehr nur um Dekarbonisierung, sondern: „Es geht um Bezahlbarkeit, Funktionsfähigkeit und Resilienz des Energiesystems.“

Blackout möglich

Katherina Reiche, Vorsitzende der Geschäftsführung des größten deutschen Verteilnetzbetreibers, der innogy-Tochter innogy Westenergie GmbH, warnt sogar ausdrücklich vor Stromausfällen, falls Deutschland bis 2030 aus der Kohle aussteigt. WELT online zitiert sie folgendermaßen: 

„Auf der Basis von Wetterdaten der letzten 30 Jahre und der in sechs Jahren voraussichtlich verfügbaren Produktionskapazitäten drohten nach einem bestimmten Szenario im Januar 2030 massive Versorgungslücken mit Stromabschaltungen zwischen einer und zehn Stunden, sagte Reiche vor der ‚Wirtschaftspublizistischen Vereinigung‘. Im Jahresverlauf könne es in dunklen, windstillen Phasen bis zu hundertmal zu Phasen der Unterversorgung kommen, die bis zu 21 Stunden dauern könnten. Dies sei für ein Industrieland wie Deutschland nicht hinnehmbar. ‚Es kann sein, dass wir den Kohleausstieg etwas verschieben müssen‘, so Reiche.“

Ich finde es wirklich dramatisch, was Katherina Reiche da sagt. Ich selbst bin mit dem Szenario von Blackouts normalerweise ganz vorsichtig, da die Netzbetreiber alles tun werden, um solche zu verhindern. Um so mehr ist diese Aussage von brutaler Offenheit.

Längst verabschiedet

Ich kann mir übrigens auch vorstellen, warum sie das gesagt hat. Es wirkte so, als käme diese Warnung so aus dem Blauen, aber zufälligerweise hat zwei Tage später Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender von RWE, bekanntgegeben: „In gut zwei Wochen werden wir im Rheinischen Revier die drei Braunkohleblöcke endgültig stilllegen, die von der Bundesregierung in der Energiekrise aus der Sicherheitsbereitschaft aktiviert worden waren. Planmäßig schalten wir zudem die beiden 600-Megawatt-Kohle-Blöcke in Neurath ab, deren Betrieb per Gesetz verlängert worden war.“ 

Warum tut RWE das? Das Unternehmen ist für die Stabilität des Stromnetzes nicht mehr verantwortlich, ist kein Monopolist mehr. Es liefert den Strom an die Börse, andere kaufen den, es ist ein reiner Stromerzeuger. Die, die gekniffen sind, die ihren Kunden erklären müssen, warum das Netz ausfällt, das sind die Netzbetreiber. Sie sind die einzigen, die noch ein bisschen Verantwortung dafür haben, ob die Menschen Strom bekommen oder nicht. 

Die Erzeuger haben sich innerlich längst verabschiedet von Deutschland. RWE kann sagen, dass es durch die Abschaltung der fünf Kraftwerke sein CO2-Ziel schon früher erreicht und sind damit bei den Investoren gut angesehen. Hinzu kommt, dass die Erzeuger an der Braunkohle auch nicht wirklich viel verdienen, das ist eine reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Das Wohlergehen der Haushalte und der Wirtschaft ist für sie demgegenüber völlig nachrangig.

Stolpern der Energiewende

Selbst ein Urgestein der Grünen, Ralf Fücks, früher mal Sprecher des Bundesvorstandes der Partei, später auch Senator und zweiter Bürgermeister in Bremen und heute Geschäftsführender Gesellschafter der NGO und Denkfabrik „Zentrum Liberale Moderne“, hat dieser Tage in einem Artikel in der FAZ gewarnt, wir müssten „unsere Strategien, das Instrumentarium und auch die Zeitachse der Energiewende neu justieren“.

Und er fuhr fort: „So drängend die Klimakrise auch ist, wir können den Umbau einer hochkomplexen Industriegesellschaft nicht allein an den Rechenmodellen der Klimaforschung ausrichten. Die ökologische Transformation wird nur gelingen, wenn sie auch ein ökonomisches Erfolgsmodell wird und sozialverträglich bleibt.“

Er sprach zudem von einem „Stolpern“ der Energiewende, für das er als Grund anführt: „Wir sind jetzt in einer Etappe der Klima- und Energiewende, in der sich die Kostenwahrheit nicht länger verdrängen lässt. Vielleicht erreichen wir tatsächlich irgendwann den Punkt, an dem kostengünstige erneuerbare Energien im Überfluss zu Verfügung stehen. Aber bis dahin werden die Kosten noch steigen. Dass ‚Sonne und Wind keine Rechnung schicken‘, ist wohl wahr. Dafür sind die Anschub- und Systemkosten der Wende umso höher.“

Robert Habeck täte gut daran, die Bedenken seines Parteifreundes und der anderen zitierten Stimmen ernst zu nehmen. Mein Fazit, wenn ich mir die Statements des Bundesrechnungshofes, der Vorstandsvorsitzenden von E.on und innogy Westenergie, des Hauptgeschäftsführers des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und des Sprechers von Aluminium Deutschland e. V. sowie von Ralf Fücks anschaue, ist: Die Energiekrise ist weder abgearbeitet noch abgesagt, sondern sie steht noch bevor.

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1 Kommentar. Leave new

  • Stefan Traxler
    28. März 2024 18:49

    Sehr geehrte Herren,
    Damen muss man wohl nicht erwähnen, weil sie einen verschwindend geringen Anteil Ihrer Kommentatoren darstellen. Das ist nur einer von vielen schwierigen Sachverhalten in der Sandwirtselbsdarstellung, die völlig an den gesellschaftlichen Realitäten vorbei gehen. So wie Ihr ganzes krudes Weltbild geprägt von überholten Mann-Frau Klischees, deutschen Allmachtsphantasien, Geschwätz von Verbotspolitik, Meinungsunfreiheit und Hassverbreitung gegenüber Gendern ist. Sie sind sowas von out. Ich denke Sie werden sich von selbst abschaffen. Hoffentlich.
    Aber Sie können natürlich jederzeit eine andere Meinung vertreten. Wir sind nämlich entgegen Ihrer Ansicht ein demokratisches Land mit Redefreiheit. Deswegen werden Ihre Thesen auch nicht überleben. Unsere Demokratie aber schon. Auch wenn Ihnen da etwas anderes vorschwebt, vermutlich mit Andreas Hofer als König. Denken Sie mal über eine Andrea nach. Ist vielleicht weniger toxisch.

    Mit besten Grüßen
    Stefan Traxler

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