Protokolle der Aufklärung #29
Als Friedrich II. von Preußen öffentlich verkündete, er sei der oberste Diener seines Staates, meinte er gewiss nicht das Funktionsgebilde, das wir heute Staat nennen. Für ihn und die platongeschulten Gelehrten seiner Zeit war Staat die Gesellschaft insgesamt. Heute assoziieren wir mit dem Wort eine als Machthaber etikettierte Menschengruppe der Gesellschaft, ihre Kombattanten und die von ihnen geführten Einrichtungen.
Jede entwickelte Gesellschaft – ob frei oder unfrei – wirtschaftet leistungsteilig. Ihre Dynamik erwächst aus den materiellen Bedürfnissen der Menschen. Dies nicht nur bei der Nutzung individuell erzeugter und erworbener Güter, sondern auch und vor allem bei den überindividuell genutzten kollektiven Gütern. Letztere heißen im Politsprech „öffentliche Güter“.
Nun handelt es sich bei den „öffentlichen Gütern“ – so wie bei allen anderen auch – nur immer um eine Nutzung durch individuelle Haushalte. Sie erfolgt in sehr unterschiedlicher Weise und je nach Bedarf, in jedem Fall aber privat. Warum also spricht man hier von „öffentlich“?
Den einzigen Unterschied zwischen „privat“ und „öffentlich“ in Bezug auf Güter sehe ich darin: Die einen werden von einigen, im Grenzfall von nur einem Menschen genutzt, die anderen von vielen, im Grenzfall von allen. Mir ist nicht bekannt, ob es jemandem bisher gelungen ist, zwischen „öffentlich“ und „privat“ in Bezug auf Güternutzung eine sachgerechte Begriffstrennung vorzunehmen. Die Trennung „privat“–„öffentlich“ mag vielleicht in rechtlicher Hinsicht sinnvoll sein. Aber es bleibt unklar, warum einige privatwirtschaftlich genutzte Güter „öffentlich“ heißen.
Es sieht so aus, als wolle man mit der Unterscheidung „privat-öffentlich“ im ökonomischen Bereich die Aufmerksamkeit weglenken von einigen heiklen Problemen, die in heutigen Gesellschaften bei der Lieferung und dem Verbrauch kollektiver Güter entstehen und die offenbar verborgen bleiben sollen. – Wir wollen der Sache nachgehen.
Der Staat als Betrieb
Die derzeit existierenden Wirtschaftsgemeinschaften sind so organisiert, dass ein Großteil der Güter und Leistungen von einem einzigen Großbetrieb erbracht wird, der als Staat bezeichnet wird. Der Staat mag viele Seiten haben. Vom juridischen Standpunkt aus ist er eine Rechtsinstanz („Rechtsstaat“). Vom ökonomischen Standpunkt ist er ein Betrieb, ein Unternehmen, eine Firma. Das spezielle Metier dieser Firma ist die Lieferung der kollektiven Güter (s. o.). Eine rational und vorurteilsfrei verfahrende Wirtschaftslehre verlangt deshalb eine nüchterne Analyse des Staates auch in seiner Rolle als ganz gewöhnlicher Güterlieferant.
Man kann den Presseleuten ja Vieles vorwerfen, bei manchen Wortfindungen beweisen sie Instinkt. Der schon vor Jahren geprägte Ausdruck „Baden-Württemberg GmbH“ (damals mit Lothar Späth an der Spitze) bezeichnet treffend die Organisationsstruktur eines modernen, vom Zeitgeist als mustergültig eingestuften Staatsgebildes. Der Bundeskanzler Helmut Schmidt sprach einmal von sich als „Vorstandsvorsitzenden der Deutschland AG“.
Rein wirtschaftlich gesehen unterscheidet sich der Staat von anderen Betrieben nicht. Wie die anderen hat er ein eigenes Funktionsfeld und ein eigenes Kassenwesen. Wie die anderen liefert er Güter und Dienstleistungen. Wie die anderen verlangt er dafür Geld. Der Umgang der Bürger mit dem Staat ist ein Handel, nämlich der Tausch Sachgüter und Sachleistungen gegen Geld.
Der Staat ist erkenntlich Marktteilnehmer. Er ist Handelspartner und Dienstleister neben vielen anderen. Er selbst stellt sich immer häufiger als solcher dar. Die neuerliche Imagepflege der Staatslenker, vor allem auf kommunaler Ebene, sich ostentativ als nützliche und kundenorientierte Dienstleister zu geben und ihre Legitimation daraus zu schöpfen, erleichtert den sachorientierten und damit auch entmystifizierenden Blick auf den Staatsapparat noch. Mit der Verwendung des Begriffs „Behörde“ für viele Staatsbetriebe wird jedoch weiterhin verschleiert, dass es sich beim Staat um eine Einrichtung handelt, die auch nach ökonomischen Gesichtspunkten beurteilt werden muss.
Der Staat als ökonomisches Gebilde ist Fakt. Und von diesem Faktum aus, also ganz unromantisch, soll im Rahmen der hier angestrengten Aufklärung an die Behandlung des Staatsapparats herangegangen werden. Ich denke, dass die Einordnung des Staates in unser ökonomisches Gesamtgefüge bei der Entscheidung darüber hilft, ihn als Güterlieferanten zu beurteilen, zu legitimieren, zu dulden oder auch zu verwerfen.
Lieferant „außer Konkurrenz“
Aufgrund der Bilateralität des Tausches hat jedes Wirtschaftssubjekt neben der Rolle des Güterabnehmers zugleich die Rolle des Güteranbieters (auch des Geldanbieters!) inne. Als Güteranbieter kann es sowohl Wettbewerber als auch Monopolist sein. Auch Staaten sind Güteranbieter. Und in ihrer Anbieterrolle sind sie nationale Monopolisten. Sie sind es in vielerlei Hinsicht und auf allen regionalen Ebenen – von der Staatsspitze bis hinab in den kommunalen Bereich.
Bestimmte kollektive Leistungsbereiche innerhalb der Gesellschaft, bei denen es als sinnvoll oder notwendig erschien, sie zu zentralisieren, übernahm im Laufe der Zeit der Staat. Dadurch wuchsen ihm mannigfache Aufgaben zu. Er wurde zu einem gewaltigen Wirtschaftsunternehmen. Dieses überragt inzwischen alle anderen. Heute bewirtschaften Staatslenker den größten und vielgestaltigsten Betrieb der Gesellschaft. Innerhalb seines Territoriums ist er sowohl der mächtigste, als auch der gefährlichste Monopolist. Er ist es nicht nur wegen seiner schieren Größe, sondern auch deshalb, „weil dieser Fall des mächtigsten Monopols zugleich derjenige ist, der am meisten mit Phrasen verhüllt werden kann“ (Wilhelm Röpke).
Ein Monopol hat die Alleinherrschaft über die Preisgestaltung seines Güterangebots. Als Abnehmer der von ihm gelieferten Güter stehen die Wirtschaftssubjekte stets in der Gefahr, überhöhte Preise zahlen zu müssen. In einigen Fällen ist das relativ harmlos. In allen anderen kann es in Wucher ausarten. Beim Wucher ist die „König-Kunde“-Position der Güterabnehmer ausgehebelt. Das ist eine für das Zusammenleben der Menschen abträgliche Situation. Denn Wucher ist eine spezielle Form der Ausbeutung.
Nun ist der Staat nicht nur Monopolist schlechthin. Er ist ein Monopolkonzern, d. h. ein ökonomisch vielfältig aktiver Apparat. Er deckt mit seinem Angebot weite Bedürfnisbereiche der Gesellschaft ab. Der staatliche Konzernmonopolismus reicht bis in die untersten regionalen Ebenen hinab. Schon in den Kommunen ist er präsent, z. B. in Form sogenannter „Stadtwerke“. Der deutsche und besonders auch der französische Staat sind aber nicht nur einfache Konzerne. Sie sind Konzerne von Konzernen. Eine solche Konstellation finden wir überall in der Welt: von den USA bis hin nach China.
Die deutsche Staatsverfassung, auch die Länder- und Gemeindeverfassungen sind so konzipiert, dass sie für alle Bereiche des kollektiven Güterangebots einen einheitlichen Geschäftsbetrieb vorsehen. Der Betrieb wird auf den verschiedenen regionalen Ebenen von einer einzelnen Person geleitet: Bundeskanzler, Ministerpräsident, Bürgermeister, Gemeindedirektor. Sie ist der Chef des jeweiligen Konzerns oder seiner Teilkonzerne. Sie verwaltet federführend auch die Betriebskasse.
Einheitskasse des Staates
In der Regel führen Staatskonzerne eine einheitliche Kasse. In dieser Kasse fließen die verschiedensten Geldströme zusammen. Ein Staat ist also – vom rein ökonomischen Standpunkt aus betrachtet – ein Monopolkonzern mit Einheitskasse. Bei Konzernen mit Einheitskasse sind die Gefahren für Nutzer und Verbraucher besonders groß.
Die ökonomische Organisationsform „Konzern“ verlangt zwar nicht zwingend eine Einheitskasse. Gibt es aber eine, so wie beim Staat, dann wird es zusätzlich gefährlich für die Menschen: Es besteht nicht nur die Gefahr des Wuchers, wie bei jedem gewöhnlichen Monopol, sondern auch die der Veruntreuung: in Form einer marktfremden Geldverwendung und Geldverschwendung. Eine Einheitskasse lädt zu Fehlallokationen, ja zu kriminellen Daseinsentwürfen geradezu ein.
Ein typisches Beispiel ist die Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland. Hier wird ein Großteil des eingenommenen Geldes zur Finanzierung verkehrsfremder Funktionsbereiche abgezwackt. Bereits im Jahr 2016 waren das 33 Milliarden Euro. Die Mittel fehlen dann für den Ausbau und die Instandhaltung der Straßen. Trotz horrender Einnahmen zu Lasten der Straßennutzer (2016 insgesamt 52 Milliarden Euro; inzwischen dürfte dieser Betrag nicht niedriger sein) verrotten Straßen und Brücken bzw. werden gar nicht erst gebaut. Das hat dazu geführt, dass ein ökonomisch vertretbarer Fernstraßenverkehr schon seit Jahren nicht mehr möglich ist und in naher Zukunft auch nicht möglich sein wird.
Die aus dem Straßenverkehr vereinnahmten Mittel werden zur Finanzierung bombastischer Musentempel, sinnloser Energieprojekte, zur Aufrechterhaltung überholter Verkehrskonzepte und zur großzügigen Alimentierung von Beamtenwitwen verwendet. Diese Verfahrensweise ist eine glatte Veruntreuung von Geldern, die eigentlich treuhänderisch verwaltet werden sollten.
Wer hier schimpft und Unrecht vermutet, versuche doch einmal, den Staat auf der Basis des §266 StGB zu verklagen!
Das Volk als Abnehmer kollektiver Güter
Die staatliche Kassenverwaltung ist eng verbunden mit der Budgethoheit einer sogenannten Volksvertretung, dem Parlament. Das Parlament gehört derzeit mitnichten dem Volk an, sondern ist Teil des Staatsapparats. Denn dieser ist heute überall „Parteienstaat“. Und die Parteioberen bestimmen die Kandidaten für die „Volksvertretung“ (s. meinen Sandwirt-Beitrag „Wahlen: ein eklatanter Widerspruch“). Aus den parteibestückten Parlamenten rekrutiert sich in den meisten Fällen auch die Betriebsleitung der Firma Staat.
Die Staatsverfassung gesteht dem Parlament die absolute Souveränität über den Einsatz jener Gelder zu, die im Tausch mit den „öffentlichen Gütern“ eingegangenen sind. Das heißt am Ende, dass der Staat – als Parteienstaat ohne echte Gewaltenteilung (s. meinen Sandwirt-Beitrag „Das ‚System‘“) über den Einsatz dieser Gelder allein verfügt. Was bedeutet das für seinen Umgang mit den Menschen an der gesellschaftlichen „Basis“?
Das Einheitskassensystem in Verbindung mit der Parteienherrschaft bewirkt, dass den Bürgern die Budgetfreiheit beim Erwerb von kollektiven Gütern gänzlich verwehrt ist. Der Ausbeutung durch Wucher sind Tür und Tor geöffnet. Ist ein Monopolkonzern an sich schon ein Schreckgespenst für freiheitsbegabte Menschen, so können sie von Monopolkonzernen mit Einheitskasse zu jämmerlichen Konsumkretins heruntergedrückt werden.
Güter von einem Konzern mit Einheitskasse beziehen zu müssen, wobei die Budgethoheit beim Konzern selbst liegt und damit auch die Macht der Preisgestaltung bei den angebotenen Gütern, widerspricht komplett dem Menschenrecht auf freie Eigentumsnutzung (s. mein Sandwirt-Beitrag „Das Gewähren und das Dürfen“). Es ist einer Gesellschaft, die glaubt, einigermaßen human organisiert zu sein, höchst unwürdig.
Für die Art des Gütertausches zwischen Bürger und Staat gibt es im Bereich gewöhnlicher Marktvorgänge keine Entsprechung. Die Staatsfunktionäre, die in der Regel Angehörige irgendwelcher politischer Clans sind („Parteien“ genannt), bewirtschaften den größten und vielgestaltigsten Betrieb der Gesellschaft. Oft beanspruchen sie dafür die Hälfte aller Ressourcen der Volkswirtschaft. In Deutschland liegt die Staatsquote laut Bundesfinanzministerium momentan bei 48,4 Prozent. Dazu kommt eine Unzahl sog. „Gebühren“, z.B. für Strom, Wasser, Gas usw., die extra bezahlt werden müssen. Sie dürften die Staatsquote noch wesentlich erhöhen.
Wer für die Lieferung allein nur der kollektiven Güter als Gegenleistung einen so riesigen Anteil der Gesamtwirtschaftsleistung einer Gesellschaft beansprucht und requiriert, muss sich der Ausbeutung bezichtigen lassen.
Diesen Beitrag im Wurlitzer anhören:
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.
Alternativ können Sie den Podcast auch bei anderen Anbietern wie Apple oder Overcast hören.