Protokolle der Aufklärung # 21
Die Definitionen, die in meinen beiden Sandwirt-Beiträgen „Das Gewähren und das Dürfen“ und „Einige Anmerkungen zum Eigentumsbegriff“ über das Eigentum zusammengestellt wurden, scheinen so etwas wie „geistiges Eigentum“ nicht zu umfassen. Um hier klarer zu sehen, müssen einige Vorüberlegungen, die in früheren Sandwirt-Beiträgen angestellt wurden (Protokolle der Aufklärung #1, #2 und #3), in Anspruch genommen werden. Die wichtigsten sind die zur physischen und zur nichtphysischen Erlebnissphäre des Ich. Daran schließt sich die Unterscheidung von Besitz und Eigentum an.
Die Vergegenständlichung des Geistes
Um bei einem geistigen Fall-out entscheiden zu können, ob es als Eigentum zu werten sei oder nicht, ist es nützlich, sich daran zu erinnern, dass die Eigentumsdefinition am angegebenen Ort in Verbindung mit einem dingbezogenen Nutzungsrecht entwickelt wurde. Nun ist etwas rein Geistiges kein Ding, das man – etwa im ökonomischen Sinne – nutzen könnte. Es kann aber auf dem Wege einer ganz speziellen Schöpfungshandlung Ding-Charakter erhalten, etwa in Form eines Werkplans, eines Manuskripts, eines Bildes oder eines Notenblatts, also als ein Etwas auf einem Trägermedium.
Durch die Veränderung eines bereits als Eigentum vorhandenen Mediums (Papier; Leinwand, Ölfarbe, Tinte, EDV-Anlage) gewinnt das vorher rein Geistige seine Gegenständlichkeit. Aufgrund einer solchen Veränderung („abusus“; a. a. O.) kann das Medium einen gewaltigen Wertzuwachs erlangen.
Die Veränderung des Mediums ist zwar nur das Auftragen von Symbolen (Schriftzügen oder Zeichnungen). Aber als Symbol ist das Geistige jetzt physisch präsent. Das Trägermedium (Papier oder Elektronik), das schon Eigentum war, bleibt weiterhin Eigentum, aber durch den geistigen Niederschlag in veränderter Form. Es ist infolge eines Schriftzugs, eines Pinselstrichs oder einer Skizze völlig verwandelt worden.
Jeder Plan, jedes Manuskript, jedes Notenheft ist zwar eine geistige Schöpfung. Aber die Schöpfung liegt jetzt materialisiert vor. Und nur so kann sie Grund für Eigentum sein. Denn Eigentum war definiert worden als die gewährte Alleinnutzung von Besitz (a. a. O.).
Eigentum muss immer schon die Besitzkomponente in sich tragen – als seine materiell-dingliche Seite. Sonst fällt der Begriff aus seiner Definition heraus. Denn ihr zufolge gibt es kein Eigentum ohne Besitz. Ein geistiger Fall-out muss also zuerst seinen materiellen Niederschlag gefunden haben, um überhaupt Eigentum sein zu können. Ohne Bezug auf einen bestimmten Besitz ist jede Rede von Eigentum sinnlos. Eigentum ist stets Besitz mit einer besonderen Eigenschaft: sozial legitimiert zu sein (a. a. O.).
Nur infolge ihrer Materialität sind Konstruktionsplan, Manuskript oder Notenblatt in den allgemeinen Handels- und Rechtsverkehr einzubinden. Sie sind das nicht als reines Geistesprodukt, sondern immer als Gegenstand, auch wenn die Vergegenständlichung in symbolischer – vielleicht nur elektronischer – Form erfolgt. Die Rede vom „geistigen Eigentum“ in Bezug auf solche (wenn zwar nur symbolisch objektivierten) Dinge ist deshalb irreführend. Treffender redete man ganz konkret von Eigentum an einem Plan, an einem Manuskript oder an einem Notenheft. Denn gemeint ist eigentlich immer der materielle Niederschlag des Geistes, auch wenn dieser nur in symbolischer Form auf einem Trägermedium vorhanden ist.
Der Werther-Roman Goethes
Als der konzessionierte Verleger des berühmten Werther-Romans sich beim Autor darüber beklagte, dass ihm durch den mannigfachen anderweitigen Nachdruck des Werkes eigenes Geschäft entging, tat Johann Wolfgang von Goethe – in seiner Rolle als Jurist – genau das Richtige. Er ließ den nichtkonzessionierten Nachdruck seines Manuskripts verbieten. Denn das Manuskript war seinem Verleger im Zuge eines (zweiseitigen!) Gewährsakts, nämlich eines Vertrags, als papierner Gegenstand ausgehändigt worden. Über diesen Gewährsakt hatte Goethe sein Eigentum als real präsentes Manuskript an seinen Verleger weitergegeben. Denn in jedem Eigentum ruht u. a. auch das Übertragungsrecht („usus venditio“; a. a. O.).
Der Verleger hatte von da an zweifellos das Eigentumsrecht am Goethe-Text. Aufgrund des Diskrimisierungsprinzips, welches das Eigentum konstituiert und ein Nutzungsmonopol festschreibt, hatte kein anderer, nur er dieses Recht. Es beinhaltet – qua Eigentum – auch die Erlaubnis, den Text weiter zu verarbeiten, zum Beispiel ihn durch Druck zu vervielfältigen („abusus“; a. a. O.).
Der Sinn der Rede vom „geistigen Eigentum“
Im Grunde geht es beim sogenannten „geistigen Eigentum“ immer um das copyright, d. h. um das Verarbeiten und Vervielfältigen eines Konstruktionsplans, eines Manuskripts, eines Notenblatts zu Maschinen, Büchern, Tonträgern und EDV-Programmen. Eigentümer ist dabei stets der Inhaber des Plans, des Manuskripts, des Notenblatts, des Programms, das er selbst besitzt oder vom Schöpfer gekauft bzw. als Geschenk erhalten hat.
Schon die Schöpfer dieser Dinge können sich erst dann Eigentümer nennen, nachdem sie aus ihrem Geistesblitz etwas Gegenständliches gemacht haben. Dabei geschieht – wie oben ausgeführt – eine Veränderung auf bereits vorhandenem Eigentum: einem Blatt Papier oder einer EDV-Anlage. Vielleicht erkennt der Markt dann darin einen Wertzuwachs.
Ohne Materialisierung und Objektivierung muss jede Rede von Eigentum in Bezug auf Geistiges unverständlich bleiben. Geistiges Eigentum im strengen Sinne gibt es also nicht. Aber es gibt Eigentum am materiellen Niederschlag des Geistes, auch wenn dieser nur in symbolischer Form Gestalt angenommen hat, z. B. als Plan, als Manuskript, als Bild oder als Notenblatt.
Wie schwer sich die Rechtstheorie mit dem Begriff „geistiges Eigentum“ tut und auf welche abstrusen Ideen sie dabei verfällt, ist dem Werk „Das geistige Eigentum“ von Schack et al. zu entnehmen, in dem 50 „Leitentscheidungen“ des Europäischen Gerichtshofs und hoher deutscher Gerichte dokumentiert sind.
1 Kommentar. Leave new
Selbstverständlich gibt es geistiges Eigentum. Jedenfalls, solange wie man es für sich behält. Gibt diesbezüglich keinen Unterschied zu materiellem Eigentum.